100 % authentisch oder eben gar nicht: Mint Simon im Interview

Mint Simon – Lead-Stimme bei Caveboy – präsentiert ein neues Pop-Ich; ein Soloprojekt, das in einem neuen Körper beginnt. Für Mint Simon ist die Zeit gekommen, um ungeniert sich selbst sowie die eigene Stimme und Identität ohne jegliche Einschränkungen zu erkunden. Dabei dreht sich alles um Impulse: Auf etwas reagieren, etwas riskieren und eintauchen in geheimste Sehnsüchte. Heraus kommt eine furchtlose Pop-Explosion über Liebesbeziehungen, Begehren und sexuelle Befreiung.

Heute erscheint das Video zur neuen Single 'Some Of Everything'. Die universale Botschaft dahinter: Gender is fluid, Sexualität auch – und das wird ordentlich gefeiert. Emo-Dance-Pop-Grunge-Vogue für alle 'non-box-fitting queers' – da sind wir sowas von dabei!

Zu ehrlich, zu verletzlich, zu echt

Bouygerhl: Du bist musikalisch bereits in vielen Projekten aktiv gewesen – nun die zweite Single als Solo-Act. Ist das aufregender?

Mint Simon: Für mich ist dieses Soloprojekt ein Weg, um mein kreatives Ich endlich in seiner Gänze zu verwirklichen. Die zweite Single 'Some of Everything' ist mein persönlicher Favorit aller Songs, die ich in letzter Zeit geschrieben habe – vielleicht sogar mein absoluter Lieblingssong überhaupt. Es fühlt sich wie ein wahrhaftiges Geschenk an, die ganze Welt an diesem Track teilhaben zu lassen. Überhaupt ist es total aufregend, endlich mittendrin in der Umsetzung des neuen Projektes zu sein. Zum ersten Mal sage ich ganz klar das – und nur das – was direkt aus meinem tiefsten Innersten kommt. Und ich merke, wie sich diese Wahrheit auch in meiner Musik entfaltet.

BG: Du sagst, für Dich sei die Zeit gekommen "um ungeniert Dich selbst, die eigene Stimme und Identität ohne irgendwelche Einschränkungen zu erkunden". Welche Einschränkungen hast Du denn erfahren?

MS: Ich glaube, ich habe mir die Einschränkungen früher hauptsächlich selbst auferlegt, visuell und auch im Bezug auf meine Songtexte. Ich wollte nicht 'zu viel' sein: zu ehrlich, zu verletzlich, zu echt. Am Ende des Tages sind das aber alles Dinge, die ich mit der Welt teilen will. Einige werden genau das mögen – andere eben nicht. Ich bin jetzt an einem Punkt, wo ich mich einfach nicht mehr darum kümmere, was andere Leute denken. Das fühlt sich unglaublich empowernd und aufregend an.

BG: In Deinem Pressetext weist Du sehr bestimmt darauf hin, welche Pronomen für die Berichterstattung verwendet werden sollen. BOUYGERHL hat dieses Thema natürlich auf dem Schirm! Wie aber ist Deine Erfahrung als nicht-binäre Person mit der nicht-queeren Presse?

MS: Tatsächlich bis jetzt hauptsächlich gut! Glücklicherweise habe ich ein tolles Team im Rücken, das darauf achtet, Medien und Menschen, die mit mir arbeiten, zu berichtigen, falls nötig. Ich bin total gespannt, wohin sich das Thema noch entwickelt – jetzt, wo es vermehrt einen öffentlichen Diskurs darüber gibt. Meine jetzige Identität ist immer noch relativ neu für mich – und nach wie vor ein stetiger Lernprozess und ein Abtasten der verschiedenen Level im öffentlichen Raum. Ich denke, für manche ist es verwirrend und ganz schön hart, aber ich persönlich hab mir da in ziemlich kurzer Zeit eine relativ dicke Haut zugelegt.

BG: In Deutschland ist aktuell eine gesellschaftliche Diskussion im Gange, die das Gendern der Sprache infrage stellt. Was antwortest Du Menschen, die eine korrekte Ansprache als überflüssig oder störend empfinden?

MS: Was ich immer wieder versuche zu vermitteln, ist, dass wir uns selbst besser kennen als andere. Alles, was wir wollen, ist, mit Respekt behandelt zu werden. Wenn jemand nicht korrigiert werden will, sollte die Person unbedingt mal darüber nachdenken, warum das denn ein so großes Problem für sie darstellt.

Zum ersten Mal sage ich ganz klar das – und nur das – was direkt aus meinem tiefsten Innersten kommt.

BG: Gerade für die junge Generation stellen sich diese Fragen offenbar nicht mehr so ausgeprägt. Sexuelle Identität bzw. Gender-Fluidity scheinen angekommen und sind meist kein so grundsätzliches 'Problem' mehr. Was meinst Du, woran das liegt?

MS: Ich glaube, dass die jüngere Generation sich stärker repräsentiert fühlt da draußen, vor allem durch die sozialen Medien. Als ich ein Teenager war, gab es Facebook noch nicht – und ich hatte keine Möglichkeit, meine Orientierung und Identität zu erkunden oder mich mit anderen abzugleichen. Oder überhaupt zu erfahren, dass es andere solche Identitäten gibt und was überhaupt alles möglich ist. Ich persönlich hatte Glück, dass ich bereits in jungen Jahren andere queere Menschen getroffen habe und mich schon als Teenager outen konnte. Ich bin unglaublich dankbar für diese Zeit und die Erfahrungen von damals. Es ist, als hätten wir die aktuelle Entwicklung schon früher durchgemacht und waren 'ahead of the curve' – jetzt ist es anscheinend mittlerweile so, dass es mehr Patz gibt für Queerness und Gender-Fluidität.

BG: Stand jemals in Frage, Deine Queerness in Deiner Musik so explizit und selbstbewusst zu präsentieren? Gab es eventuell 'gut gemeinte' Ratschläge aus der Branche, dies nicht zu tun?

MS: Als ich anfing, mich in der Musikindustrie zu bewegen, war es sogar uncool, sich als weibliche Musikerin zu identifizieren – das war etwas, wovor man eher zurückgezuckt ist. Es hat sich so unglaublich viel verändert in den letzten zehn Jahren: Wenn ich so darüber nachdenke, ist es schon krass, dass wir von dem Punkt, an dem man sich fast schämte, eine weibliche Musikerin zu sein, dahin gekommen sind, sich explizit als genderfluide Künstlerperson zu identifizieren – offen und laut. Mit meinem Solo-Projekt gab es für mich gar keine andere Option, als ich und nur ich selbst zu sein. Ich wusste, dass ich das genau so will, dass es zu 100 % authentisch sein musste oder eben gar nicht – sonst wäre es die Sache nicht wert gewesen.

BG: Was kommt als Nächstes? Gibt es Pläne für ein Album oder eine Tour?

MS: Ich plane momentan die nächste Veröffentlichung und arbeite an einer aufregenden Liveshow. Es passiert gerade alles so schnell und ich muss dranbleiben, um zum richtigen Zeitpunkt bereit zu sein – wenn die Türen aufgehen und es wieder Live-Konzerte geben darf. Es wird das erste Mal sein, dass ich diese Songs solo spiele – deshalb will ich natürlich mit einem Knall starten.

Zum Schluss unsere fünf BOUYGERHL-Quickies:

Welche Musik beeindruckt Dich ganz aktuell?
Gerade mag ich die Musik von Keiynan Lonsdale sehr! 'Gay Street Fighter' läuft auf Repeat in meiner Playlist.

Guilty Pleasure?
Ein bisschen peinlich, aber ich bin ein riesiger 'Survivor'-Fan. Ich habe alle 40 Staffeln angeschaut! Und während der Pandemie habe ich 'Keeping Up With The Kardashians' gebinged. Komplett – auch alle Spin Offs. Ich bin Reality-TV süchtig!

Dein perfekter Sonntag?
Eis-Kaffee (jaja, ein wahrer Gay-Stereotyp) und dann ab an irgendeinen See, mit meinen Freunden und Hunden.

Schnurr- oder Vollbart?
Vollbart

Celebrity Crush?
Aktuell Kathryn Hahn. Falls ihr noch nicht 'Mrs. Fletcher' angeschaut habt, ist es jetzt an der Zeit!

  • Interview Zacker
  • Fotos Mathieu Samson