Beeindruckend ehrlich: Martin Bruchmann im Interview

Martin Bruchmann arbeitet in seiner Debüt-EP das schwierigste und gleichzeitig persönlichste Kapitel seiner Jugend auf: Mit 13 Jahren haut er von Zuhause ab, um in einem Kinderheim Schutz und nach einer besseren Kindheit zu suchen. Dort angekommen tut er das, was ihm zu Hause nicht erlaubt war: Musik machen.

Entstanden sind fünf intime Deutschpop-Songs, von denen drei Singles das Herzstück bilden, für die er einen Musikkurzfilm produziert hat. Ein Film, der die Geschichte eines jungen Menschen erzählt, der sich aus eigener Kraft aus einer toxischen Situation retten musste, um eine normale Kindheit zu haben. Der viel zu früh die Verantwortung für sich und sein Leben in die Hand nehmen musste. Und der am Ende doch merkt, dass Weglaufen nur eine vorübergehende Lösung ist.

"Wer wär ich heute, wenn ich damals nicht gegangen wär?" fragt sich Martin Bruchmann. Für ihn ist klar, ohne Musik wäre er ein anderer Mensch. Musik ist seine Medizin, auch wenn wir ihn bislang vorrangig als Schauspieler kenngelernt haben. "Ich will Menschen, mit dem was ich tue, inspirieren und das mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen: meiner Kreativität. Und der ist es egal ob ich ein Lied schreibe oder in einem Film spiele. Meine Kreativität das bin ich."

Anlässlich der Veröffentlichung hat uns Martin ein paar Interviewfragen beantwortet – und auch hier ist er beeindruckend ehrlich.

Interview mit Martin Bruchmann

Bouygerhl: Die Themen auf Deiner neuen EP sind höchst persönlich. Ist es nicht beängstigend, so schonungslos ehrlich zu sein? Das Leben gefiltert auf Insta und Co. mit der Öffentlichkeit zu teilen, ist das eine. Sich aber so zu öffnen und verletzlich zu machen, eine ganz andere Hausnummer – und auch eher ungewöhnlich für die Medienwelt.

Martin Bruchmann: Ich glaube durch meine Arbeit als Schauspieler bin ich es in einer gewissen Weise gewohnt einen 'Seelen-Striptease' hinzulegen. Letztlich geht es mir aber darum, mit meiner Kunst – in dem Fall mit der Musik – eine Message zu haben und nicht in der Belanglosigkeit zu versinken. Mir ist es wichtig, ein Künstler mit Tiefgang zu sein. Gerade im Deutsch-Pop passiert mir das noch zu wenig. Von daher finde ich es nur konsequent, eben auch etwas von mir Preis zu geben und solche Thematiken anzuschneiden.

BG: Gab es Momente, in denen Du gezweifelt hast, ob es gut war, diese intime Geschichte so offen zu erzählen?

MB: Ich war hin- und hergerissen. Auf der einen Seite stand da ein wahnsinnig krasser Song (Dreizehn) und auf der anderen Seite war ich mir nicht sicher, ob ich mich wirklich so verletzlich machen möchte. Ich habe mich aber letztendlich doch entschlossen diesen Schritt zu gehen, weil ich glaube, dass der Song und die Geschichte trotz ihrer Schwere Menschen bestärken und inspirieren kann. Hin und wieder braucht es eine Person, die einen erinnert, dass Aufgeben keine Option ist – derjenige möchte ich sein. Letztlich ist es das, was ich auch mit den drei Singles der EP und dem extra dafür produzierten Kurzfilm 'Wer wär ich heute, wenn ich damals nicht gegangen wär' sagen möchte: Es gibt immer einen Weg raus! Wir können uns aus jeder Situation befreien. Manchmal braucht es eben 'nur' ein bisschen Mut und den Glauben an sich selbst, der einen über sich hinauswachsen lässt.

BG: Im Song 'Zukunft' singst Du: "Die Zukunft ist hier. / Alles brennt, doch es tut mir mehr weh. / Alles brennt, aber ich bin ok." Heute hast Du also alles verarbeitet und Deinen Frieden gemacht?

MB: Ich denke, ich bin an einem Punkt in meinem Leben, in dem ich alles ganz gut verarbeitet habe. Das ist auch der Grund, warum ich so offen darüber sprechen und mit meiner Geschichte nun versuchen kann, anderen Menschen Mut zuzusprechen. Und vor allem aber bin ich in der Lage, Kraft daraus zu ziehen. Genau wie ich in 'Zukunft' eben auch singe: "Wandel den Schmerz um in Energie". Das Vergangene können wir nicht verändern, aber wir haben unsere Zukunft in der Hand. Dieses Potenzial sollten wir ausschöpfen. Das ist ein sehr befreiendes und empowerndes Gefühl: genau dieses Gefühl, was einen sonst runterzog, umzuwandeln und Kraft eben auch aus negativen Dingen zu ziehen.

BG: Die Lyrics wirken teilweise wie Fragmente eines Tagebuchs – oder hast Du sie speziell für die EP geschrieben?

MB: Alle Songs sind tatsächlich in diesem Jahr mit Hinblick auf die EP entstanden. Diesmal war die Herangehensweise aber besonders. Ich wusste, dass drei der Songs für die EP und den Kurzfilm eine große Rolle spielen werden. Das heißt, ich konnte nicht, wie sonst, einfach loslegen, sondern musste beim Schreiben gleichzeitig auch noch den Filmproducer in mir einschalten und schauen, ob die Stimmung und das Gesagte überhaupt zur Handlung passt. Das war in der Tat eine kleine Herausforderung. Aber zum Glück liebe ich Herausforderung und bin froh, dass so etwas Tolles daraus entstanden ist.

BG: Die Veröffentlichung der EP wird visuell durch einen Musik-Kurzfilm begleitet. Ein ziemlich ungewöhnlicher Weg, aber ein großartiger. Wie kam es zu der Idee?

MB: Ich habe Spaß daran, Dinge anders zu machen und nach dem Besonderen zu suchen. Ein Musikvideo ist unglaublich teuer. Ich wollte deswegen nicht 'nur' schöne Bilder zu den Singles produzieren. Ich dachte, wenn Leute meine Musik hören wollen, dann können sie das bei den gängigen Musikportalen tun. Ich wollte aber einen Mehrwert zu der Musik und dem Text schaffen. So entstand die Idee, einen Dreiteiler zu produzieren, der zusammengesetzt ein Ganzes ergibt. Ich liebe es einfach Dinge zu kombinieren und konzeptuell zu arbeiten. Warum also auch nicht meine Schauspielerei mit der Musik verbinden und dieses Potenzial ausnutzen. So kam es auch dazu, dass die Songs im Film unterbrochen werden, um dem Schauspiel Raum zu geben. By the Way: den ganzen Film findet ihr auf meiner Homepage als Merch zum Download. Schaut unbedingt rein.

Das Vergangene können wir nicht verändern, aber wir haben unsere Zukunft in der Hand. Dieses Potential sollten wir ausschöpfen.

BG: Da drängt sich die nächste Frage förmlich auf: Musik vs. Schauspielerei. Welches Herz schlägt lauter?

MB: Ich würde sagen, sie schlagen gleich laut. Für mich gibt es kein entweder oder. Ich habe schon immer Musik gemacht und auch wenn die Schauspielerei später dazu kam, ist sie ein sehr wichtiger Teil meiner Künstleridentität.

BG: Rückblickend: Hast Du einen Ratschlag für queere Kids, die mit dem Alltag oder gar der eigenen Familie struggeln. Quasi einen Tipp an Dein altes Ich?

MB: Letztlich geht das an alle Kids, die im Alltag, mit sich oder mit ihrer familiären Situation struggeln: Sprecht mit euren Freund*innen über Sachen, die euch belasten! Darüber zu sprechen und sich Menschen anzuvertrauen ist der erste und der wichtigste Schritt! Es kann so befreiend sein, mit anderen über die eigenen Probleme zu reden. Zusammen findet man oft eine Lösung. In meinem Fall habe ich mich an einem bestimmten Punkt an eine Schulsozialarbeiterin gewendet, die mir mit meiner Situation geholfen hat – auch das kann eine Anlaufstelle bei Problemen jeglicher Art sein.

BG: Du sagst, dass Du viel zu früh die Verantwortung für Dich und Dein Leben in die Hand nehmen musstest. Eine vielleicht etwas provokative Frage, aber gab es auch etwas Gutes, dass Du aus dieser Extremsituation ziehen konntest?

MB: Ja natürlich. Ich habe sehr früh gelernt, was es heißt, für mich und meine Träume einzustehen und für diese zu kämpfen. Ich glaube, ohne die Erfahrung von damals wäre ich heute nur halb so stark. Ich hätte nicht im Ansatz das Durchhaltevermögen, welches mich heute antreibt und nicht aufgeben lässt, wonach auch immer ich gerade strebe.

BG: Du bist – wie ich – in Leipzig geboren. Im Song '13' singst Du "Großer Rucksack in der Straßenbahn". Mit welcher Linie bist Du denn immer gefahren: 11, 15, 4? Stötteritz, Connewitz, Gohlis?

MB: Haha. Ich bin sehr oft mit der Linie 4 gefahren – nach Gohlis, denn dort bin ich aufgewachsen.

BG: Was ist Deine schöne Erinnerung an die Messestadt?

MB: Leipzig ist meine Heimat. Ich verbinde sehr viel mit der Stadt. In Leipzig habe ich in meinen ersten Bands gespielt, das erste Mal auf der Bühne gestanden. Ich habe dort Schauspiel studiert, was auch eine sehr aufregende Zeit war. Es gibt so viele schöne Erinnerungen. Am meisten mag ich die Ruhe, die Leipzig im Vergleich zu Berlin hat.

Zum Schluss unsere fünf BOUYGERHL Quickies:

Die Musik welcher Künstler*in beeindruckt Dich ganz aktuell?
Ich liebe die Musik von Jordan Rakei. Mine hat einen ziemlich guten Sound und Harry Styles mag ich auch sehr gern.

Guilty Pleasure?
Ich liebe Schokolade. Aber ich habe Glück, meine Gene verzeihen es mir. Insofern fühle ich mich ganz und gar nicht 'guilty'.

Celebrity Crush?
Ohje, da gibt es viele. Leider finde ich unter anderem Shawn Mendes ziemlich cute.

Dein perfekter Sonntag?
Lange schlafen, Croissant mit Marmelade zum Frühstück, Freunde treffen und am Abend Kino oder Konzert.

Silvester feiere ich …?
An einem ruhigen Ort außerhalb der Stadt.

Tourdaten

  • 26. November 2022 – anti.Helden Festival / Darmstadt
  • 13. Januar 2023 – Record Release / Maschinenhaus, Berlin
  • Interview Zacker
  • Fotos Sasha Ilushina