Extraordinär und poetisch: Christl trifft uns dort, wo es schmerzt

© Mala Brandstoetter

Grün Blau Violett – den Eindruck, den Gewalt auf der Haut hinterlässt. Christls Stimme webt sich durch melancholische Akkorde und fragt: 'Why did you give me life, when you can’t handle yours?' So reicht uns die Künstlerin die Hand zu ihrer Welt. Wer zuhört, taucht in ihre Farben ein: Christls Debütalbum 'Green Blue Violet / Grün Blau Violett' trifft uns dort, wo es schmerzt. In 15 Tracks – Ton für Ton auf der Suche nach einer Wahrheit, ja, einem Zugeständnis von sich selbst. Dringlich bohren Christls komplexe Songstrukturen und sensible Lyrik in vergangenen Gewalterfahrungen – denn dort hat das Überleben durch die Kunst für sie begonnen.

Als multidisziplinäre Künstlerin verschmilzt sie Musik, Literatur und visuelle Kunst und fordert ihr Publikum durch kompromisslose Konfrontation: Besprochen werden Themen wie Gewalt, Trauma, Sexismus, Depression und dessen Überwindung. Christl kreiert einen Raum für sich selbst und andere, in einer von ihr gestalteten Welt. Das ist nicht immer leicht einzuordnen, jedoch erfahrbar und vor allem spürbar – nichts ist gleichgültig.

Die Zweisprachigkeit ihres Debütalbums entwickelte sich intuitiv durch die literarische Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache. Christl singt erstmals in ihrer Muttersprache und verortet sich dadurch nicht mehr nur im Schmerz und der Wut, sondern blickt von außen auf sich selbst. Deutsche Songs wie 'Tod', 'Weiter Weg' und 'Verstecken' wurden in einem Schreibschwall zur Welt gebracht, wodurch sich für Christl sprachlich 'eine neue Welt' aufgetan hat. Sie meint: 'Ich muss darüber reden, sonst kann ich nie wieder über etwas anderes schreiben. Da muss was raus. Aber da ist noch mehr.'

Musikalisch präsentiert die Autodidaktin einen extraordinären Sound mit poetischer Qualität, der Aufmerksamkeit verlangt. Gleichzeitig sind Songs wie 'Unter der Decke', 'Yellow Pages' oder 'XX' aber auch eingänglich und vor allem zugänglich. Während Christl ihren eigenen Schmerz erforscht, können sich Zuhörende vielleicht auch ihrem eigenen Leid annähern und Schutz in kollektiver Erfahrung finden. Wer will sich nicht weniger allein fühlen?

Ich muss darüber reden, sonst kann ich nie wieder über etwas anderes schreiben. Da muss was raus. Aber da ist noch mehr.

Christl ist eklektischer Pop und immer auch einen Hauch Avantgarde. Als Inspiration nennt sie Künstler:innen wie Fiona Apple oder Florence Welch. Jedoch entbehren sich Vergleiche, denn bei 'Ich Schwimm' oder 'Weiter Weg' ist man näher dran als bei anderen Artists – nämlich so nah, wie nur irgendwie möglich – das tut vielleicht auch ein bisschen weh. Es wird an Wunden gekratzt, bis sie bluten, es wird sich entblößt. So zeigt sich Christl, im von der Künstlerin Judy Chicago inspirierten Cover, für 'Green Blue Violet / Grün Blau Violett' nahezu nackt. Sie legt auch ihre Seele offen dar und atmet im Song 'Tod' metaphorischen Zigarettenrauch aus. Sie haucht: "Erheb mich aus der Totenstarre. Ich zünd mir eine. Und ich rauch." Dann dämpft Christl aus.

Beim Abspielen von Christls musikalischem Œuvre begegnet uns eine Intensität, die sich nicht zurückdrehen lässt. Der Prozess von 'Green Blue Violet / Grün Blau Violett' hat die Künstlerin dabei sehnsüchtig an Orte ihres Ichs entführt, die sie zuvor noch nicht erahnen konnte. Wie auf Schatzsuche im eigenen Unterbewusstsein haben sie Ideen beim Spazieren begrüßt – ganz früh, wenn es noch getaut hat und der Tag sich lichtete. Wie ihre Füße beim Gehen tastet sich Christls soulige Stimme langsam vor und spricht unabdingbare Wahrheiten aus: Über sich selbst und andere. Das passiert auf ernsthafte, humoristische und emotionale Weise, wie "1, 2, 3, 4, 5, 6, komm raus, ich hab dich gesehen. Du musst dich nicht versteckt verbiegen, weil so biegsam bist du nicht."

'Green Blue Violet / Grün Blau Violett' ist weniger eine Reise als eine Entwicklung. Beginnend bei der Wurzel, aus der sie selbst entsprang. Endend, indem Christl auf 'Ich Schwimm' weitere Facetten ihrer Klangfarbe erkundet. Die Punk-Attitüde des Songs skizziert keine Manifestation von Leichtigkeit, sondern nur das Wissen und den Ausblick, dass die Dinge auch mal anders erscheinen werden. Christl weiß nämlich, das reicht oft schon, um weiterzumachen – im Jetzt.

Das Album erscheint am 23. Februar 2024 auf farbigem Vinyl sowie auf allen digitalen Plattformen.

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