High-School-Realness in Pastell: Drag-Duo Jawbreakers im Interview

  • Ein Beitrag von Gastautorin Novir Gin

Sehnen wir uns nicht alle wieder nach ausgelassenem Tanzen an einem sonnigen Sommertag? Für alle, denen es in ihrer Musik-Playlist noch an einem Mix aus Dance, Pop und House fehlt, sind Jawbreakers die Antwort. Das Drag-Duo und DJ-Produktionsteam aus Down Under geht mit ihrer ersten EP 'Just A Taste' heute auf allen Streaming-Plattformen an den Start. Neben ihren bereits erfolgreichen Hits 'Boyfriend' (feat. Amunda) und 'This Is Dirty' übersetzen die beiden Artists Kali Fornikate and Sabrina Babyslut ihren Blick auf queer-australische Party- und Popkultur in brandneue Tracks.

Nicht nur musikalisch, sondern auch visuell sind die beiden ein echter Hingucker: Inspiriert von allseits beliebten 'It-Girl-Cliquen' an High-Schools stechen die Jawbreakers mit langen Haaren und kurzen Röcken hervor. In ihren Musikvideos begeistern Sabrina und Kali mit verspielten, pastellfarbenen Visuals und bieten das volle Programm an Selbstbewusstsein, Charme und Entertainment.

Die EP 'Just A Taste' ist als Eigenproduktion die Kirsche auf der Sahnehaube von Sabrina und Kalis internationaler DJ-Karriere der letzten Jahre. Neben zahlreichen Clubtouren haben die beiden bereits mit der Drag-Legende Courtney Act zusammengearbeitet, zierten die Line-Ups neben Pabllo Vittar und Jodie Harsh und waren Headliner des 'Sydney Mardi Gras' und des 'Milkshake Festivals' in den Niederlanden, bei denen tausende Menschen zu ihrem Set tanzten.

Anlässlich der Veröffentlichung haben die beiden uns ein paar Interviewfragen beantwortet.

Und damit wieder in Zacker’s Worten:
Bouys & Gerhls – viel Spaß!

Interview mit Jawbreakers

Novir: Herzlichen Glückwunsch zum Release eure Debüt-EP 'Just a Taste'! Lasst uns am Anfang starten: Was war euer 'first taste' voneinander? Wie habt ihr zusammengefunden und was hat euch dazu veranlasst, Jawbreakers zu gründen?

Sabrina: Wir waren beide im Cast einer Britney-Spears-Illusion-Show! Wir haben uns sofort verstanden, weil wir beide denselben blödsinnigen Humor teilen und aus allem einen Witz machen. Deswegen haben wir uns entschieden, zusammen an einem DJ-Wettbewerb teilzunehmen, lernten dort wie Auflegen funktioniert und das hat dann den Stein für alles Weitere ins Rollen gebracht.

N: Wenn man sich euren stimmigen Content anschaut, scheint es so, als hättet ihr von Anfang an einen gemeinsamen Plan gehabt, wie die Jawbreakers und ihre DJ-Sets ausschauen sollen, ohne dass ihr euch gegenseitig in die Quere kommt. Könnt ihr uns mehr über den Prozess verraten?

Kali: Ganz ehrlich: Es war, als würden wir mit demselben Gehirn denken. Wir haben solch eigene und unterschiedliche Lieblingsgenres an Musik und Sound, die zusammenkommen und die perfekten Set-Listen hervorbringen und unser Brand ergänzen. Außerdem lieben wir neu gedachte Song-Kreationen. Als wir über das Brand-Konzept nachgedacht haben, stand Jawbreakers recht schnell fest, da jede*r mit diesem Wort in Erinnerung an den Film, Süßigkeiten, an eine bestimmte Gestaltung, Farbpalette und Ära schwelgt.

Man stresst sich mit dem Gedanken, was andere von einem halten werden und reagiert in seinem Kopf über, da alles so neu ist. Aber nach dem ersten Mal hat es sich bereits so angefühlt, als würde ich es mein ganzes Leben machen.

N: Bevor ihr euren Fuß in die Welt der Musikproduktion gesetzt habt, wart ihr beide vertraut mit queerer Clubkultur und der Drag-Kunst. Woher kommt eure Liebe für Drag und was hat euch dazu bewegt, euch in der australisch-queeren Szene als Künstlerinnen zu involvieren?

S: Ich interessiere mich für Musik, seitdem ich 7 Jahre alt war und das hat mir den Weg zum Musiktheater geebnet, was mich wiederum zu Drag geführt hat. Außerdem hat das Schauen von 'RuPaul’s Drag Race' in der Oberstufe sehr zu meiner Besessenheit mit Drag beigetragen.

K: In meiner Jugend habe ich bereits an Schulaufführungen teilgenommen und queere Pop-Kultur nur aus der Ferne verfolgen können, da die nächste Großstadt vier Stunden von meiner Heimat entfernt war. Als ich dann die Club-Szene in Melbourne und Brisbane kennenlernte, war ich einfach nur überwältigt von den Shows der Drag-Queens. Ich habe Tanz immer geliebt, obwohl ich nie darin trainiert wurde – und nachdem ich einmal den Makeup-Pinsel angesetzt hatte, war es schwer, ihn wieder wegzulegen.

N: Erinnert ihr euch an euren ersten Auftritt als Jawbreakers und wie hat sich das im Unterschied zu euren Erfahrungen als Solo-Performer angefühlt?

S: Vor dem ersten Auftritt war ich sehr ängstlich, da er im Rahmen eines DJ-Wettbewerbs namens 'yourshot' stattfand, bei dem uns alle nur Out-Of-Drag kannten. So war es nicht nur unser erstes Mal Auflegen, sondern zugleich auch noch ein heterosexuelles Event, auf dem keiner wusste, dass wir Drag-Queens waren. Aber ich wusste bereits nach dem ersten Mal, dass ich in Zukunft viel entspannter sein werde. Man stresst sich mit dem Gedanken, was andere von einem halten werden und reagiert in seinem Kopf über, da alles so neu ist. Aber nach dem ersten Mal hat es sich bereits so angefühlt, als würde ich es mein ganzes Leben machen.

K: Ich bekomme immer PTBS, wenn ich unser erstes Mal Auflegen in der Öffentlichkeit höre ('Boy oh Boy' - Diplo). Ich glaube, es liegt daran, dass es ein Wettbewerb war, bei dem die Jury sehr bewusst unserer Musik zugehört hat, während sich bei unserem ersten Club-Auftritt keiner um die Musik gekümmert hat, solange welche lief.

N: Stellt euch vor, eure Koffer mit eurem Drag ist vor einem Auftritt verloren gegangen. Gäbe es die Möglichkeit, dass ihr ohne Drag als Jawbreakers auf die Bühne geht? Und wie beeinflusst Drag eure DJ-Karriere im Allgemeinen?

S: Das ist uns schon passiert und es nervt. Wir sind in einem Flughafen sieben Stunden für einen einstündigen Flieger stecken geblieben und dann wurde unser Koffer gerade so zum Hotel gesendet, dass wir diese noch zum Flieger für einen Auftritt in einem anderen Land mitnehmen konnten. Wir haben bei diesem Auftritt damals nicht in Drag aufgelegt, was ein komplett anderes Gefühl war, da wir in Drag erwartet wurden und wir nichts gegen die Enttäuschung der Anwesenden machen konnten. Ich bevorzuge in Drag aufzulegen, da es so viel mehr Spaß macht, seine Haare dabei herumzuwerfen und ich bin auch schon so daran gewöhnt, dass es sich ohne illegal anfühlt.

K: Wie Sabrina schon meinte, es ist bereits passiert und fühlt sich wie diese Träume an, in denen du in Unterwäsche vor der Öffentlichkeit sprechen musst und nicht aufwachen kannst. Man lässt das Publikum im Stich, wenn du nicht in Drag da bist.

N: Während den letzten Jahren hattet ihr die Möglichkeit auf einigen Festivals, wie zum Beispiel dem 'Big Pineapple Music Festival', aufzulegen. Was macht DJing auf Festivals für euch besonders?

S: Ich liebe Festivals. Der Vibe ist so spezifisch und unübertroffen gegenüber Club-Auftritten. Die Leute sind auf einem Festival wie in einem Kurzurlaub. Sie sind frei von Verpflichtungen, haben einfach nur Spaß und vergessen ihren langweiligen Alltag. Jeder hat einfach das gleiche Ziel: eine gute Zeit zu haben.

K: Ich werde mich immer an das erste Mal auf einem großen Festival erinnern ('Big Day Out And Future' in 2011). Es war wie auf einem Freizeitpark und eine solche Atmosphäre hatte ich zuvor so noch nie in meinem ganzen Leben gespürt. Wir haben auf Festivals alle dieselben Absichten: Wir sind dort für Musik und um Erinnerungen mit unseren Freund*innen zu machen. Es ist so besonders, ein Teil von etwas zu sein, an das die Menschen sich ihr ganzes Leben erinnern werden.

N: Mit dem Headlinen von Festivals – wie Sydney Mardi Gras und dem Milkshake Festival in den Niederlanden – habt ihr nicht nur einen Namen für euch international gemacht, sondern auch viel Erfahrung in der Musikindustrie gesammelt. Wie werdet ihr als feminin auftretende Künstler*innen in eurem Arbeitsumfeld wahrgenommen?

S: Wir haben viele lustige Geschichten darüber, wie Menschen nicht erwarten, dass wir auflegen, als wüssten sie nicht, dass wir ein Duo seien. Wir hatten schon Situationen mit anderen DJs, die uns gefragt haben, wer als Nächstes auflegt, während wir mit all unserem Zeug bereits im DJ-Booth standen. Wir nehmen das aber nicht persönlich. Wir werden außerdem beschuldigt, dass wir unsere Sets faken. Da frage ich mich, wie wir das für jeweils zwei Stunden durchhalten sollten? Das wäre mir zu langweilig.

K: Jeder denkt, dass wir Hype-Girls wären, die jemand Backstage angeheuert hat. Es gibt nichts Besseres, als unterschätzt zu werden und dann die Überraschung zu sein, die übernimmt und dann einen Banger spielt, welcher den ganzen Dancefloor füllt. Eine Sache, die ich sehr schätze, ist, dass wir keine queerphoben Reaktionen von dem Publikum oder anderen Künstler*innen bekommen. Jede*r respektiert, dass wir unser Ding machen und gute Samariterinnen sind.

Es gibt nichts Besseres, als unterschätzt zu werden.

N: Eigene Musik zu produzieren muss eine komplett andere Erfahrung sein, als Dance- und Popmusik von anderen Künstler*innen zu mixen. Wer hatte den Einfall und wie war der kreative Prozess hinter 'This is Dirty' oder 'Boyfriend'?

S: Während des Lockdowns hatten wir so viel Zeit, unsere Skills als Produzentinnen zu verfeinern und so fühlt sich die EP an, wie eine Demonstration, was wir gelernt und produziert haben. 'Boyfriend' war eigentlich ein Bootleg-Remix, den ich kreiert habe, um Remixes zu üben, aber jede*r hat ihn so geliebt, dass wir die Vocals erneut aufgenommen und als unsere offizielle Debüt-Single rausgebracht haben.

K: 'This is Dirty' war inspiriert von einem Video von Rebecca More, eine der Cock Destroyers, und wir wollten davon eine House-Track-Probe. Aber die Audioqualität des originalen Videos war nicht iconic und um unser eigenes kreatives Flare einzubringen, haben wir eine Synchronsprecherin engagiert, sie die Lyrics vorlesen lassen und daraus einen Track gemacht.

N: Der Titel 'Just A Taste' kündigt an, dass von euch noch einiges kommen wird. Was können wir von euch in der Zukunft erwarten? Was sind eure Ziele?

S: Wir wollen weitere Hits releasen und hoffentlich in den nächsten Jahren ein Album! Wir würden außerdem gerne Songs für andere Artists schreiben und produzieren, einfach unser Brand musikalisch wachsen lassen und weiter an tollen Projekten arbeiten!

K: Ich sehe uns nächstes Jahr Coachella headlinen. Scherz. Natürlich würden wir einfach gern unseren Sound in der australischen Musikindustrie ausbauen und einige Banger kreieren, die Jahrzehnte lang gespielt werden.

Zum Schluss unsere BOUYGERHL-Quickies:

Euer Fashion Idol?
S: Pabllo Vittar
K: Alles von Rey Ortiz

Euer Go-To-Song, um Menschen ausflippen zu lassen?
S: Kenny Dope - The Bomb
K: Fedde Legrand - Let me think about it

Eine Sache, ohne die ich kein Drag machen könnte ...
S: Gib mir einfach eine 40-inch Human-Hair-Perücke und ich mach' den Rest möglich.
K: Ich könnte einfach eine Lash aufsetzen und mich eine Drag-Queen nennen.

Bester After-Gig-Snack
S: Das muss eine Vegemite-Scroll sein, wenn ich beim Auftritt daran denke.
K: Großes Double-Quarter-Pounder-Menü mit Bacon von McDonalds und ein Wasser, da ich eine ausgeglichenen Ernährungsplan mit genügend Wasserzufuhr liebe.


Gastautorin d'Amour: Novir Gin

Novir Gin ist Drag-Künstlerin und Performerin aus Leipzig und hat sich in den letzten zwei Jahren mit ihrer Kreativität und ihrem Aktivismus in der Kunstszene der Stadt etabliert. Novirs Bewusstsein für die gesellschaftlich-politische Sonderstellung der liberalsten Stadt Sachsens bewegt die nun selbst ernannte Podcasterin zu ihrem neuen Projekt 'Gern Gewusst' – ihrem Beitrag zu nahbarer queerer Aufklärungs- und Bildungsarbeit.

'Gern Gewusst' vereint die Spurensuche queerer Traditionen in der Vergangenheit Deutschlands und den Blick auf queere Lebensrealitäten in der gegenwärtigen Gesellschaft. Dabei steht im Vordergrund, Vielfalt als etwas Zeitloses kennenzulernen und Berührungspunkte mit queeren Lebensrealitäten zu schaffen.

Der Podcast ist ab 12. April 2022 auf Spotify, Amazon Music, iTunes und Deezer verfügbar.

  • Interview Novir Gin