Man liebt halt, wen man liebt: Newcomerin LiLA im Interview

Auf ihrer Webseite macht LiLA direkt eine selbstbewusste Ansage: "Ich halte nichts davon, Menschen in Schubladen zu stecken. Vor allem nicht mich selber. Man liebt halt, wen man liebt." Eine Position ganz in meinem Sinne. Wäre das Thema direkt abgehakt. Bäms!

Und LiLA meint das genau so – in ihren Videos wird mit Bouys geflirtet und mit Gerhls geknutscht. Der neue Song 'Hey Ana' geht jedoch ein ganzes Stück weg von Sommerstrand, verschmiertem Lippenstift und Feelgood-Elektropop. Der Track ist ernster, denn LiLA spricht über Magersucht. Genauer: über Ihre ganz persönliche Erfahrung mit der Magersucht.

LiLAs überwundene Anorexie wird als 'Ana' zur imaginären, toxischen Freundin. Was folgt, ist eine intime Abrechnung mit dem Schmerz, Zweifel und dem Gefühl von Nicht-genug-sein-können. Düstere Klänge, kraftvolle Drums, treibende Synthesizer – und LiLAs poppige Stimme, die mit gewohnter Power über der Produktion schwebt.

Die böse Stimme im Kopf

Wir haben LiLA einige Fragen zum Song und dem Thema Selbstwert- bzw. Körpergefühl gestellt.

Bouygerhl: Wie oft hast Du in den letzten Tage die Frage gehört: Wer ist Ana?

LiLA: Meistens wird die Frage eher formuliert als 'Und hast Du noch Kontakt zu dieser Ana'. Menschen, die nichts mit Essstörungen am Hut haben, ist Ana als Abkürzung bzw. Spitzname für 'Anorexie' – also Magersucht – meist kein Begriff. Im Fall des Songs könnte die Antwort vielleicht so etwas sein wie 'Ana ist die böse Stimme im Kopf'.

BG: Im Song sprichst Du über Deine – hinter Dir gelassene – Magersucht als schlechte 'beste Freundin'. Destruktive Unsicherheit, nagender Selbstzweifel: Ab wann wird es toxisch?

LiLA: Wahrscheinlich ab Stunde Null. Nur kann der Mensch eine gewisse Menge Gift ja verstoffwechseln. Wäre Ana eine echte Person gewesen, wäre es mir wahrscheinlich schon früher aufgefallen, wie schädlich diese 'Beziehung' für mich war. Aber sich gegen seine eigene innere Stimme zu wenden, braucht nochmal eine andere Art von Kraft.

BG: Die Diskussion über 'Body Positivity' ist momentan in vollem Gange. Theoretisch sind wir uns dabei alle einig, die praktische Realität sieht jedoch immer noch anders aus. Warum kommt die Gesellschaft von diesem vermeintlichen Idealbild nicht so richtig los?

LiLA: Ich habe schon das Gefühl, dass es sich seit meiner Kindheit, wo sich für mich dieses Bild geprägt hat, verändert hat. Damals waren klar die Size-Zero-Models das Wahre. Heute geht der Trend dazu, körperliche Diversität auch so abzubilden. Das Bild des 'perfekten Körpers' ändert sich ja auch stetig: Wo es früher für Frauen am wichtigsten war, Hauptsache dünn zu sein, geht der Trend heute zu z.B. trainiertem Booty und Lipfillers. Hinzu kommt, dass zwischen mental gesund und körperlich gesund Welten liegen. Ich war zu Phasen, in denen es mir psychisch richtig schlecht ging, immer noch im Rahmen von normalgewichtig. Von außen hätten die wenigsten erkennen können, was mit mir los ist.

BG: Bei schwulen Bouys ist optische Selbstoptimierung oft ein großes Thema und bestimmt in gewisser Weise auch Teile der Szene. Wie sieht das in der Gerhl-Community aus?

LiLA: Per se habe ich das Gefühl, dass es bei den Bouys krasser ist als bei den Gerhls. Allerdings ist das ja auch das totale Dunkelziffer-Ding. Viele checken bestimmt – wie ich – lange nicht, dass das, was sie da grade machen, krankhaft ist. Die Grenze ist einfach superschmal: Wenn ich mein Frühstück durch eine Zigarette ersetze, damit ich nicht so viel esse – ist das dann noch gesund oder schon essgestört? Wenn ich Lust auf Schokolade habe, aber mir verbiete, sie zu essen – ist das dann healthy Lifestyle oder schon essgestört?

BG: Gibt es etwas, dass Du jungen Menschen mit auf den Weg geben möchtest, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben? Etwas, das Dir geholfen hätte?

LiLA: Nicht das Essen oder Nicht-Essen als Problem zu sehen, sondern zu schauen, was dahinter steckt. Meine große Essstörungs-Episode war damals zum Beispiel mit einem krassen Gespräch, in dem ich viel über mich herausgefunden habe, schlagartig beendet. Ich habe danach mein Leben neu sortiert, harte Entscheidungen getroffen, die aber rückblickend meinen Alltag zum Positiven verändert haben. Vor zwei Jahren hatte ich dann auf einmal krasse Magenprobleme, konnte kaum noch was essen, ohne die ganze Zeit aufzustoßen. Das ging bestimmt ein Jahr lang oder sogar noch länger. Als ich dann eine Beziehung zu einer toxischen Person auf Eis gelegt habe, ging's mir schlagartig wieder gut. Verrückt wie eng Körper und Psyche zusammenhängen. Zudem hing mein Unwohlsein bei mir auch viel damit zusammen, dass ich die Pille genommen habe und mich dadurch in meinem Körper nicht mehr zu Hause gefühlt habe. Also ruhig auch mal Hormone checken lassen.

Ich hab mir immer queere Vorbilder im Mainstream gewünscht und bin froh, dass wir da jetzt langsam aber sicher ankommen.

BG: Nicht nur bei 'Hey Ana' bist Du sehr ehrlich, in der Art wie Du den persönlichen Kampf mit Anorexie ungeschönt in den Fokus rückst. In vielen Deiner Songs thematisierst Du – ebenfalls sehr ehrlich – auch Deine Queerness. War für Dich von Anfang an klar, diesen Teil Deiner Identität als Musikerin LiLA so offen darzulegen?

LiLA: Das sind einfach Songs, die so aus mir rauskommen. Ich stand also vor der Frage, ob ich Songs umdichten soll, um ins gängige Raster zu passen und da war sehr schnell klar: Nein.

BG: Du identifizierst Dich als pansexuell. Mir begegnen immer wieder Bouys und Gerhls, die mit dem Wort nichts anfangen können. Magst Du es kurz erklären?

LiLA: Ich sag immer salopp: Man liebt halt, wen man liebt. Die altgriechische Vorsilbe pan bedeutet 'gesamt, umfassend, alles'. Es wird keine Vorauswahl nach Geschlecht oder Geschlechtsidentität getroffen.

BG: Wie hat sich Deiner Meinung nach die Musikbranche mit Blick auf LGBTQ+-Künstler*innen in den letzten Jahren verändert?

LiLA: Als ich die Idee zu LiLA hatte, gab es im Mainstream-Pop keine:n* deutschsprachige:n* Pop-Künstler:in*. Mittlerweile sind Acts wie Luna, Wilhelmine oder Amy Wald durchgeprescht, ein paar internationale bereits etablierte Acts wie Sam Smith und Demi Lovato haben sich offiziell geoutet. Ich hab mir immer queere Vorbilder im Mainstream gewünscht und bin froh, dass wir da jetzt langsam aber sicher ankommen.

Zum Schluss unsere fünf BOUYGERHL-Quickies:

Die Musik welcher Künstler*in beeindruckt Dich ganz aktuell?
Meine Schwester Sofia Stark hat vor Kurzem ihre erste Single releast und ich bin mega beeindruckt, wie sie das macht, obwohl sie das Projekt eigentlich schon auf Eis gelegt hatte.

Celebrity Crush
Puh schwierig, ich bin da schnell zu haben! Ein guter Look, ein guter Song, eine gute Schauspielrolle und ich bin hooked. Ändert sich dementsprechend auch ständig und häufig.

Wie sieht Dein perfekter Sonntag aus?
Bett, Kaffee, Essen bestellen oder aber sonniger Tag, bisschen Wind und raus.

Synthesizer oder Gitarre?
Synthie

Berlin ist ...?
... zu groß

'Hey Ana' ist die zweite Singleauskopplung aus LiLAs noch dieses Jahr erscheinenden EP.
www.lila-musik.de

  • Interview Zacker
  • Fotos Alexander Schank