MKSM trifft Aquario: Pop-Poeten beim Großstadtgeflüster
- Ein Beitrag von Gastautor Aquario
Eine Stimme, eine Geige und Mut zum kompromisslosen Pop: In der deutschen Queer-Musikszene muss man MKSM kaum noch vorstellen. Der LGBTQ+-Aktivist erobert derzeit sämtliche CSD-Bühnen, das erste eigene Konzert folgte am 11. Oktober zum Coming Out Day in Minden.
Nun feiern wir gemeinsam mit MSKM den Release seiner zweiten EP 'Feelings of a Misfit' (VÖ: 28.10.2022). In guter BOUYGERHL-Manier haben wir uns dafür etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Newcomer Aquario ist zum gemeinsamen Interview von Leipzig nach Berlin gereist. In MKSMs Wahlheimat haben sich die beiden queeren Artists zum ersten Mal persönlich zum Großstadtgeflüster über ihre Partner, Pläne und das Plattmachen persönlicher Dämonen getroffen.
Aquario: Hey, Maksim! Vorab noch mal herzlichen Glückwunsch! Du hattest ja gestern Geburtstag. Wie hast du deinen 34. denn verbracht?
MKSM: Hey, lieben Dank! Ach, eigentlich recht unspektakulär. Ich hatte vormittags zwei Interviews und nachmittags meine Gesangs- und Geigenschüler bei mir. That's it. Als Kind war mir der Tag immer sehr wichtig. Ich freue mich nach wie vor über Aufmerksamkeit an dem Tag und wenn mich Geschenke erreichen. Mein Highlight ist immer, wenn mein kleiner Bruder mich anruft. Wir sprechen meist auf deutsch miteinander, aber machen uns am Geburtstag immer über diese unpersönlichen Wünsche lustig, die man im Russischen, unserer Muttersprache, immer abspult: Glück in der Liebe, Erfolg, Geld …
A: ... und vor allem Gesundheit!
M: Genau! Das sind die vier Dinge, die man immer wiederholt. Ganz typisch für die osteuropäischen Glückwünsche ist immer das Geld. Viel Geld!
A: Ist dieser Wunsch jemals in Erfüllung gegangen?
M: Kommt drauf an. Ich würde jetzt vorsichtig verneinen. Aber uns geht’s trotzdem gut. Wir können alles realisieren, was wir vorhaben, ohne uns stark einschränken zu müssen. Aber natürlich darf’s theoretisch immer ein bisschen mehr sein, ganz klar.
A: Ich bin da ganz auf deiner Seite. Wahrscheinlich ist das so ein Künstlerding: Hauptsache, man kann seine Projekte realisieren, sich mit ein paar ästhetischen Dingen umgeben und hat genug, um zu überleben. Nutzen wir doch gleich die gute Überleitung des Schenkens: In deiner Instagram-Story habe ich gesehen, dass die Leute dir derzeit die größte Freude machen können, wenn sie deine neue EP auf Spotify pre-saven. Lass uns doch gleich mal darüber sprechen. 'Feelings of a Misfit' kommt am 28. Oktober. Ich bin ja Fan von Konzeptalben bzw. -EPs. Deine neue EP hab' ich mir mal als Buch vorgestellt. Als Autobiografie in fünf Kapiteln quasi. Jetzt, wo du das fertige Buch der Welt präsentierst: Wem widmest du es?
M: Sehr gute Frage! Die EP widme ich in erster Linie meinem unsicheren Teenager-Ich. Wenn ich an einen Song wie 'Part of Me' denke, fällt mir ein, dass ich mir so einen Song als Teenie gewünscht hätte. Ich glaube, wenn man sich die fünf Songs anhört, lernt man mich sehr gut kennen. Sie beinhalten Themen, über die ich schon länger spreche bzw. sprechen wollte; nur eben noch nicht auf musikalischer Ebene. Die EP ist für jede:n, der/die sich schon mal innerlich als Misfit gefühlt hat.
A: 'One of My Demons' ist als Ballade in der Funktion des Openers eine recht unkonventionelle Wahl. Wie kam das zustande?
M: In erster Linie ist es mein Lieblingssong von der EP. Ich finde, dass man mich in dem Song sowohl gesanglich als auch die Art wie ich Songs schreibe, am besten kennenlernt. Ich finde es schön, direkt mit dem Song zu starten, der das meiste 'Gewicht' hat. Er war auch der erste Song, der für die EP entstanden ist. Mit meinem Produzenten Jaako hatte ich davor schon 'Love in the Dark' und '2021' gemacht. Wir haben ziemlich schnell erkannt, dass die Chemie stimmt. Kurz davor ist 'One of My Demons' entstanden. So schwer der Song thematisch und musikalisch wiegt, war er in der Entstehung super easy und organisch. Die Richtung war sehr schnell klar.
Mit Selbstreflexion gegen innere Dämonen
A: Inhaltlich spricht 'One of My Demons' das Abtauchen in seelische Untiefen an. Magst du eine Episode teilen, in der du in solche Untiefen eingetaucht und bestenfalls gestärkt wieder daraus hervorgegangen bist?
M: Als der Songtext entstanden ist, gab's eine ganz klare Geschichte. Es ging um eine toxische Beziehung, auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte. Je mehr ich auf Dinge geachtet habe, die mir guttun und die sich leicht anfühlen, desto mehr habe ich mich gefragt: Warum fällt dir der Kontakt zu dem Menschen so schwer, von dem du dachtest, er tue dir gut? Die meisten Menschen kennen die richtige Definition einer toxischen Beziehung gar nicht und verwenden den Begriff so inflationär. Dabei ist es schwer, herauszufinden, warum einen die Beziehung so runterzieht. Zudem hatte ich einige Probleme, z. B. mit einer Essstörung. Wenn ich es an einem Tag geschafft hatte, so wenig wie möglich zu essen, gab mir das eine gewisse Sicherheit. Man denkt sich, diese vermeintliche Sicherheit fühlt sich gut an; sie schützt einen vor vielem um einen herum, mit dem man nicht gut umgehen kann. Und dann erkennt man spätestens am nächsten Tag, dass dieser Dämon das eigentliche Hauptproblem ist. Und mit meiner Sprache. Damals war mein Stottern noch auf einem ganz anderen Niveau, wenn man das so sagen kann. Ich dachte, ich spreche immer weniger, um mich zu schützen. Der soziale Rückzug fühlt sich in dem Zustand wie Geborgenheit an. In Wirklichkeit stürzt man damit noch tiefer ab.
A: Im Endeffekt geht es also um eine Selbstreflexion und die Umkonditionierung von ungünstigen Glaubenssätzen, oder? Man muss den Dämon erst identifizieren, um ihn in Schach zu halten. Ganz interessant; ich hatte gestern nämlich einen sehr ähnlichen Gedanken: Oft fühle ich mich am Limit, was den Workload betrifft. Das Fass ist an der Grenze zum Überlaufen, sodass es eine tägliche Challenge ist, das drohende Überlaufen unter Kontrolle zu halten. Gleichzeitig ist genau das aber auch der Lifestyle, den man sich ausgesucht hat, um sich immer wieder selbst zu pushen.
M: Unterschreib' ich sofort; denn das, wozu es oft führt, ist ja oft auch etwas Gutes. Man muss natürlich schauen, dass das Ganze energetisch nicht zu sehr Überhand nimmt.
Die EP widme ich in erster Linie meinem unsicheren Teenager-Ich. Ich glaube, wenn man sich die fünf Songs anhört, lernt man mich sehr gut kennen.
A: Ich glaube, der beste Weg, um darüber Herr zu werden, ist, dass man diesen Schaffensdrang als Teil von sich umarmt und in einer gedanklichen Schublade abspeichert, die immer mal wieder aufgeht, sodass man weiß: Aha, da ist es wieder und es ist okay, denn es gehört zu mir. Solange man dagegen ankämpft und es nicht akzeptiert, beherrscht es einen.
M: Definitiv! Bei mir sind das ganz klar immer wieder diese beiden Sachen: Meine Sprache und wie viel ich esse. Gerade beim Thema Sprache galt bei mir der Glaubenssatz: Nur dann, wenn du perfekt sprichst und nicht mal mehr ans Stottern denkst; nur dann wird’s dir gut gehen. Aber das ist das Schlimmste, was man tun kann!
Think before you speak? – Fuck off!
A: Die dazugehörige Geschichte erzählst du im dritten EP-Track 'Part of Me'. Ich habe das Gefühl, der Song ist eine Ode an dich selbst — als würdest du in den Spiegel blicken und dir sagen: Ich akzeptiere das Stottern als Teil von mir und bin gut so, wie ich bin. Würdest du sagen, dass diese Akzeptanz dein Weg ist, damit umzugehen?
M: Ja, ganz klar. Mir war es außerdem wichtig, im Video eine weibliche Protagonistin zu haben. Ich glaube, vom Stottern sind zum großen Teil Prozent Männer betroffen. Ich habe in Dokus und Fernsehbeiträgen selten weibliche Personen gesehen, die auf ihrem Weg begleitet wurden. Mit Hilfe der Bundesvereinigung für Stottern und Selbsthilfe habe ich aber eine Hauptdarstellerin für das Video gefunden. Die Strophen fangen mit Glaubenssätzen wie 'Think before you speak' an.
A: Alles Mantren, die man in der Behandlung lernt, oder?
M: Genau. Die sind gut gemeint, setzen einen aber meistens noch mehr unter Druck. Ich möchte es niemandem vorwerfen, wenn da so ein Tipp kommt. Natürlich beschäftigen sich die meisten mit dem Thema gar nicht. Ich persönlich fand diese Ratschläge als Teenie aber grauenhaft. In dem Song geht es genau um dieses 'unsichere Kind', das in einem damit immer wieder gefördert wurde. Bis heute gibt es Sprüche, die in mir auslösen, dass dieses unsichere Kind genau neben mir steht. Ich fühle mich natürlich nicht mehr genauso wie früher, aber erkenne dieses Kind immer wieder in mir. Ich habe sehr viel ausprobiert, in Sachen Behandlung. Aber nur eine Logopädin, die ich mit 14 hatte, fand ich super. Sie ging es auf eine individuelle Art an. Sie hat mich erkannt und ich fühlte mich rundum wohl. Bei allen anderen ging es immer darum, zu üben, damit das Stottern weggeht. Das Wort 'heilbar' wurde ganz häufig verwendet. Dabei tendieren Experten immer noch dazu, dass es eher nicht heilbar ist. Man kann sich mit allen Intensiv-Sprachkursen und allen Angeboten, die es so gibt, gern beschäftigen, aber nicht mit dem Druck, dass man perfekt sprechen muss. Das ist nicht gut. Und auch wenn mich das Thema Stottern wahrscheinlich mein Leben lang begleiten wird, kann ich jetzt sagen: Ich bin in der Lage alles zu sagen, was ich will – der Weg zur Selbstakzeptanz lohnt sich also sehr.
A: Bestimmt ist es dir selbst auch schon aufgefallen: Irgendwo ist das Stottern, das dich dein Leben lang begleitet, auch ein Impuls dafür, dich mithilfe von Logopäde:innen klar zu artikulieren und deutlich zu sprechen, was nicht nur als Sänger, sondern überall, wo man seine Stimme braucht, z. B. in Interviews, sehr förderlich. Die dahingehende Ausbildung wäre dir ohne das Stottern vielleicht entgangen?
M: Ja, stimmt eigentlich. Danke! So habe ich das noch gar nicht gesehen.
Starke Teams
A: Gehen wir weiter zum letzten EP-Track 'Shared Room'. Der Track ist eine Hymne an die Liebe zu deinem Mann Christian. Wie hat er den Song aufgenommen?
M: Die Bilder, die ich im Text darstelle, sind wirklich passiert; z. B., dass ich Geige übe und er dabei ein Buch liest. Das war oft der Fall. Von daher war das ein Song, zu dem er sofort einen Bezug hatte. Beim ersten Mal vorspielen, habe ihn gleichzeitig gebeten, im Musikvideo dabei zu sein. Dass er sofort zugesagt hat, war für mich eine klare Bestätigung, dass er den Song gut findet. Vor einem Jahr hab' ich meinen Mann zum ersten Mal auf Instagram gezeigt — d. h. gar nicht mal direkt; es ist eigentlich nur ein Bild von hinten. Erfolgreichstes Bild ever! Ich will unsere Beziehung natürlich gar nicht für irgendwelche PR-Zwecke nutzen, aber er gehört einfach zu mir. Wir sind schon zwölf Jahre zusammen und es hat sich für mich zu dem Zeitpunkt gut angefühlt, dass wir uns als Paar der Öffentlichkeit vorstellen.
Und wie gehst du damit um? Deinen Freund hältst du im Moment aus der Öffentlichkeit raus?
A: Mein Freund und ich sind ja noch recht frisch zusammen. Er unterstützt mich bei allem Musikalischen und hört sich alles sehr gern an. Wir tun natürlich unser Bestes dafür, dass wir die gegenseitige Unterstützung aufrechterhalten. Unsere 'Rollen' fügen sich dabei eigentlich ganz natürlich. Er ist die Instanz, die mich erdet, wenn man so will. Er liebt meine Musik als Teil von mir, hat tolle Ideen für die Realisierung und strahlt dabei eine Selbstverständlichkeit in Hinblick auf das Vertrauen an mich und meine Musik aus. Das beeindruckt mich immer wieder, wo man selbst immer sein schärfster Kritiker ist.
Mich würde abschließend zu 'Feelings of a Misfit' noch interessieren, wie die Zusammenarbeit mit Milch Musik [Anm.d.Red.: Plattenlabel mit überwiegend queeren Musik-Acts von Joshua Lange, Peter Plate und Ulf Leo Sommer] zustande kam.
M: Letztes Jahr habe ich den Weg von Marcella [Anm.d.Red.: Rockefeller, Drag Queen/Musik-Act] mit verfolgt und hatte da schon das Gefühl, dass es ein gutes Team ist. Es wirkte alles ziemlich rund. Ihr Weg war ein bisschen ausschlaggebend dafür, dass ich, während wir die EP produziert haben, schon dachte, ich schick' sie einfach an Milch Musik und schau', was dabei entsteht. Mit einer kleinen Reminder-Mail kam schon eine ganz ausführliche Antwort. Diesen Februar haben wir uns dann alle zum Mittagessen getroffen und dann kam direkt das 'Ja'. Der Vorteil ist, dass die Plattenfirma ja langjährige Erfahrung mitbringt, aber trotzdem eine kleine, überschaubare Anzahl von queeren Künstler:innen hat.
Und wie ist es bei dir, was die Plattenfirmensuche betrifft? Oder möchtest du lieber komplett independent veröffentlichen?
A: Mein Debütalbum 'Voyages' kam ja im April 2021 über Danse Macabre raus. Da war es durch Corona noch nicht möglich live zu performen und das Album ist ja auch eher aus dem Werken in meinem Home Studio entstanden. Findungsphase quasi. Da gab es auch gar keine konkreten Konzert- oder Tour-Pläne. Ich hatte einfach viele Ideen, die ich ausproduzieren wollte. Und da ich ja so ein Fan von Konzeptalben bin, ist direkt eine Tracklist für ein komplettes Album entstanden. Kurz nach dem Release habe ich dann schon angefangen, am Nachfolger zu arbeiten. Die ersten Ideen für dieses neue Album hatte ich schon 2014, habe aber immer gesagt, die Songs liegen mir so sehr am Herzen, dass ich als Produzent meiner eigenen Musik erst so weit sein möchte, dass sie die Produktion und den Release-Rahmen bekommen, den sie verdienen. Jetzt ist meine Weiterbildung zum Tontechniker durch und ist es so weit. Trotzdem brauchte ich jetzt, nach anderthalb Jahren Arbeit an dieser ziemlich detailreichen Pop-Platte, erstmal ein bisschen Abstand, bevor es weiter geht. Dieses Jahr sind wieder neue Ideen am Klavier entstanden und ich wollte gern 'pausieren', indem ich die Arbeit daran direkt niederlege, sondern diese neuen Sachen direkt umsetze und intuitiv veröffentliche. Einfach aus Spaß an der Freude, als Selbst-Release. Sie sollen dabei bewusst nicht 'perfekt' sein, sondern einfach eine Stimmung verbreiten, mit reduziertem Arrangement und ihrer natürlichen Atmosphäre. So sind die bisherigen Singles 'Summer', 'Lavender', 'Leaf Canopy' und 'Nebel' aus diesem Jahr entstanden. Ende November folgt mit 'Lake' die nächste Single, die ich zusammen mit Bianca Aristía aufgenommen habe.
M: Und die Songs münden dann auch in einer Konzept-EP oder sind es einfach einzelne Songs, die konzeptionell zueinander passen?
A: Sie passen einfach sehr zur jahreszeitlichen Stimmung der jeweiligen Monate, in denen ich sie raushaue. Ich möchte sie einfach nach Gefühl und Stimmung veröffentlichen. Sie funktionieren als einzelne Singles genauso gut, wie als Teil einer Tracklist für einen neuen EP- bzw. Albumzyklus. Da möchte ich mich aber nicht beschneiden. Immer wenn ich Lust habe, mache ich einen neuen Track und arbeite parallel an dem 'großen' Album weiter. Das ist mein aktueller Plan. Wer weiß, vielleicht entstehen dabei am Ende sogar zwei Alben? Ich möchte durch meine Single-Releases auch gern erstmal mehr Hörer:innen erreichen und live performen, bevor ich ein komplett neues Album droppe.
Songtexte: Eine Frage der Routine
M: Eine Frage zu deinen Texten: Die sind ja schon sehr bildhaft und frei interpretierbar. Und das bisher für ein Publikum, das größtenteils deutschsprachig ist. Bis auf 'Nebel', in dem es zum ersten Mal ein paar deutsche Zeilen gibt, sind deine Lyrics englisch. Wie kommt das?
A: Grundsätzlich ist das eine Frage, woher man kommt und wo man seine Routine gefunden hat. Als ich angefangen habe, Musik zu machen, habe ich englischsprachige Musik gehört. Als Teenie reflektiert man da ja auch nicht so krass. Da hat man halt gedacht, so was will man auch machen und hat seine ersten Texte auf englisch geschrieben, was ja auch irgendwo eine schöne und ungetrübte Herangehensweise ist. Ich war aber auch generell immer sehr englisch-affin. Ich liebe es, mir Lyrics in Album-Booklets durchzulesen, habe damit schon zu Schulzeiten mein Sprachrepertoire gut erweitert; später ja auch als Englischdozent an der Volkshochschule gearbeitet. Das Englische hat mich also im Alltag begleitet, so lang ich denken kann. Trotzdem habe ich es nie abgelehnt, auch auf deutsch zu singen. Es kam einfach vor 'Nebel' noch nie dazu. Ich finde, es muss dann auch thematisch sinnvoll sein. Bei 'Nebel' als zweisprachiges Duett, das sich inhaltlich zwischen zwei Welten bewegt, hat sich das sehr gut angeboten. Man ist als 'Kunstfigur' ja auch in einer gewissen Rolle. In einer Fremdsprache hat man eine gewisse Distanz zum Text, die man auch zu seiner Rolle als Interpret hat. Natürlich steckt viel von der eigenen Persönlichkeit in der Rolle; in dem Image, das man kreiert. Aber trotzdem ist eine gewisse Distanz im Vergleich zum sonstigen Alltag da. Nicht in seiner Muttersprache zu singen, ist da in gewisser Weise eine Konsequenz.
M: Voll! Ich schließe es auch nicht aus, auch mal als Experiment auf deutsch zu singen. Wobei meine richtige Muttersprache ja eigentlich Russisch ist. Ich habe aber auch eine hohe Affinität zum Englischen. Habe unter anderem zweieinhalb Jahre in London gelebt. Spätestens dieses Jahr habe ich bemerkt, was es für Vorteile hat, auf englisch zu singen. Da hatte ich zum ersten Mal internationale Pride-Auftritte, unter anderem in England. Wenn ich da auf der Bühne noch etwas zu meinen Songs erzähle, kann ich wirklich davon ausgehen, dass man meine Lyrics versteht und dass ich das Publikum auch inhaltlich ganz easy mitnehmen kann! Mich persönlich berühren aber russische Texte nochmal auf einer ganz anderen Ebene. Ich denke, nichts wird mich so sehr umhauen, wie ein guter russischer Text.
MKSM und Aquario als queere Live-Acts
M: Was ist bei dir denn im nächsten Jahr geplant?
A: Natürlich möchte ich neben meiner Release-Pläne nächstes Jahr gern live performen. Das Debüt mit meinem elektronischen Set-Up, also mit Vocals, Gitarre und Backing Tracks, habe ich ja dieses Jahr schon auf dem Pirnaer CSD gegeben. Mich gibt’s ja auch noch als akustischen Live Act, also ganz reduziert, mit mir singend am Klavier. Ich wünsche mir einfach, dass man die Sachen, mit denen man sich künstlerisch verwirklicht hat, so in die Welt raustragen kann, dass sie die Hörer:innen erreichen.
M: Ich finde es aber auch total super, dass du jetzt nicht anfängst, nur noch zu covern, um mehr CSD-Auftritte zu bekommen. Es gehört auch Mut dazu, sich als Performer treu zu bleiben. Das beste Gefühl ist es, wenn die Menschen im Publikum auch die eigenen Songs mitsingen können. Wer gut covert, prima. Aber ich erlebe es ganz oft, dass so argumentiert wird, dass die Leute mitsingen, wenn gecovert wird. Oft hat man aber so gar kein richtiges Konzept. Es gibt zum Glück immer mehr CSD-Veranstalter:innen bzw. LGBTQ+-Events, die von dieser Cover-Geschichte wegkommen und auf wirkliche Vielfalt achten. Großes Vorbild, was das Booking von vielfältigen queeren Acts betrifft, ist für mich der CSD München. Aber auch andere ziehen mehr und mehr nach. Aber es gibt eben auch immer noch viele, bei denen ich mir denke: Okay, ihr habt jetzt vier Acts gebucht, die Cover-Songs spielen. Wo ist da die Vielfalt? Ich finde übrigens auch, nur, weil jemand gay ist, ist er noch lange kein queerer Act.
A: Interessant. Du würdest also sagen, ein queerer Act definiert sich nicht nur über die private Zugehörigkeit zur Community, sondern bringt eine gewisse politische Assoziation mit sich?
M: Ja, ich finde es schon wichtig, dass ein queerer Act auch ganz klar zur Community steht – sowohl in der eigenen Kunst als auch auf der Bühne. Und gerade wenn man auch offen über LGBTIQ-Themen spricht – sowohl in den Lyrics als auch in Interviews – dann hat es auf jeden Fall auch einen politischen und aktivistischen Aspekt, den ich durchaus wichtig finde. Auch schon ein BOY statt eines YOU in einem Song von einem schwulen Künstler macht schon einen Unterschied.
Wenn man offen über LGBTIQ-Themen spricht – sowohl in den Lyrics als auch in Interviews – dann hat es auf jeden Fall auch einen politischen und aktivistischen Aspekt, den ich durchaus wichtig finde!
Facetten der LGBTQ+-Community: Mehr als laut, bunt und schrill
A: Da kommen wir direkt zu einem sehr spannenden Thema. Unsere Community ist medial zwar zunehmend präsenter; dabei aber immer sehr einseitig abgebildet: laut, bunt, schrill. Dabei gibt’s da so viel mehr Facetten als dieses Party-Image. Die Essenz von Aquario, von meiner Musik, ist z. B. im Kern immer diese 'fließende Melancholie', die sich in vielfältigen Arrangements äußern kann. Klar hab' auch ich sehr poppig arrangierte und partytaugliche Tracks, gerade in Hinblick auf mein Album, das ich gerade produziere. Ein paar davon habe ich diesen Sommer auf der CSD-Bühne auch schon live performt. Die funktionieren auf jeden Fall auf der Festival-Bühne. Trotzdem bleibe ich mir bei diesen Tracks im Inneren treu.
M: Ich würde auch bei mir sagen, was die Grundstimmung betrifft, auch auf der EP, ist Melancholie immer dabei. Auf der Bühne kann ich die Leute mit diesen Songs trotzdem mitnehmen. Auch wenn ich das Wort 'Rampensau' überhaupt nicht mag, würde ich mich auf der Bühne nicht als introvertiert bezeichnen.
A: Apropos Bühne, lass uns doch noch darüber sprechen, was bei dir in nächster Zukunft ansteht. Hast du Live-Pläne?
M: Auf jeden Fall will ich unbedingt nach dem Release meiner EP — nachdem ich ja zum Coming Out Day am 11. Oktober schon mein erstes komplett eigenes Konzert gespielt habe — auf Tour gehen. Aber erst nächstes Jahr im Oktober, November, in die Richtung. Das erste Konzert war ziemlich gut besucht und das war richtig toll. Ich gebe mir noch ein Jahr Zeit für eine Tour, um noch bekannter zu werden, aber ich hab’ die Stimmung auf dem ersten Konzert echt geliebt! Im kommenden Sommer hoffe ich natürlich auch wieder auf ein paar internationale LGBTIQ-Events – aber natürlich spiele ich auch auf einigen CSDs in Deutschland, da stehen auch schon die ersten Dates fest.
A: Und dann kam ja kürzlich auch noch dein Beitrag bei ARD Brisant ...
M: Genau. Was ich einfach liebe, ist, dass ich als offen queerer Künstler mit queeren Themen, also mit dem, was ich ohne Kompromisse liebe, immer mal wieder so eine Plattform bekomme. Natürlich ist meine Herkunft, Ukraine, Russland, bei so etwas auch immer Thema. Aber auch das gehört ja zu mir und meiner Identität. Sie waren auf jeden Fall happy mit dem, was wir gefilmt haben und ich fand den Dreh auch toll. Ich hatte das Gefühl, ich kann zeigen, wer ich bin. Den Beitrag könnt ihr natürlich auf meinem Instagram-Profil nachschauen.
A: Das Schöne am Musiker:in sein, ist ja auch immer irgendwo die Hoffnung. Egal auf was; einfach auf den nächsten Step; dass etwas passiert. Na klar hat man als Künstler:in einen Schaffensdrang, bei dem sich die Frage nicht stellt, einfach aufzuhören. Aber man möchte natürlich auch irgendwo Resonanz auf das bekommen, was man mit Herzblut erarbeitet. So wie jede:r, der/die selbstverständlich für seine Arbeit honoriert wird. Wir leben alle ein Stück weit auch von der Resonanz.
M: Yes, yes. Genau so. Natürlich hört man nie damit auf, aber dafür, dass man so viel Kraft in die Musik investiert, wünscht man sich natürlich, dass da auch etwas zurückkommt.
A: Super Schlusswort, würd’ ich sagen. Lass uns zum Abschluss noch Entweder/Oder spielen und die obligatorischen BOUYGERHL-Quickies beantworten.
M: Go!
Entweder/Oder
Stimme oder Geige?
Ist nicht einfach – aber Stimme!
Szene oder Sofa?
Als Künstler Szene, als Privatperson ganz klar Sofa!
Schnee oder Sonne?
Schnee!
Horror oder Comedy?
Eher Horror.
CSD oder CSU?
Hahaha, ganz klar CSD!
CD oder Vinyl?
Schon wegen des Sammler-Aspekts würde ich sagen Vinyl. Ich kauf' mir seit ein paar Jahren wieder Vinyls, weil ich sie so schön finde :)
Single oder Album?
Album!
Single oder Ehe?
Haha, Ehe! Aber ich kenne auch durchaus glückliche Singles.
RuPaul oder Queen of Drags?
RuPaul. Auf der anderen Seite bin ich durch Queen of Drags auf Bambi [Anm.d.Red.: Mercury, Drag Queen] aufmerksam geworden und Bambi spielt ja in einem meiner Videos mit. Daher hat Queen of Drags für mich eine besondere Bedeutung. Aber zum Anschauen, ganz klar, RuPaul!
Aquaria oder Aquario?
Aquario. Ist ja klar.
BOUYGERHL-Quickies
Drei Lieblingskünstler:innen?
Jordy, Julia Michaels und All Time Favorite: Mariah Carey.
Drei Lieblingsalben?
'Blackout' von Britney, 'Butterfly' von Mariah und 'In the Lonely Hour' von Sam Smith.
Celebrity Crush?
Zurzeit würd' ich schon sagen Shawn Mendes, weil, wie kann man so schön sein? Oder Eddie Redmayne. Sehr unterschiedlich, aber auf ihre Art beide sehr ästhetisch.
Guilty Pleasure?
Trash-TV! Dagibt es schon Perlen wie 'Sommerhaus der Stars' oder die Kardashians.
Berliner Queer-Szene-Tipp?
Immer SchwuZ, SchwuZ, SchwuZ!
Tourdaten MKSM 2022
- 19. November 2022 – QUEERZ Festival / Berlin
- 01. Dezember 2022 – Weltaidstag / Frankfurt am Main
- 10. Dezember 2022 - Pride Talk – Cologne Pride / Online
- Interview Aquario