Tanzbarer Tagebuch-Pop: Newcomer BOAH ROBIN! im Interview

Die Debüt-EP 'Jupiter Alpha' des Newcomers BOAH ROBIN! erzählt in sechs Songs ganz persönliche Geschichten – inhaltlich und musikalisch rückwärts – und schließt für ihn die intensiven Jahre 2019 bis 2021 ab. Mit seinen Texten gewährt der Leipziger Musiker einen intimen Einblick in sein Innerstes: Es geht um Veränderung, queeres Begehren, Enttäuschung und um Liebe. Er selbst nennt es Tagebuch-Pop: Verletzliche Lyrics treffen auf treibende Beats und mitreißende Melodien – kühler Club-Sound trifft auf tränendes Herz.

Nach seinem Gesangsunterricht bei Floor Jansen, der Sängerin von Nightwish, wurde BOAH ROBIN! im Jahr 2020 von Peter Plate (Rosenstolz) über Instagram entdeckt, der ihn darauf hin tatkräftig bei der Produktion der ersten Demosongs unterstützte. Für die Single 'Blutrot' stellte Peter ihm den Produzenten Elias Emilian Kunz an die Seite, der auch schon für Marcella Rockefeller den musikalischen Zauberstab geschwungen hat. Das Ergebnis ist eine eindrucksvolle Deutsch-Pop-Nummer, die einen zwischen Dancefloor und Gänsehaut taumeln lässt. Und spätestens bei der Textzeile "Engel mit der Fresse eines Bösewichts" kann man auch ein wenig schmunzeln.

Engel mit der Fresse eines Bösewichts

Anlässlich der Veröffentlichung seiner EP 'Jupiter Alpha', hat BOAH ROBIN! uns ein paar Interviewfragen beantwortet:

Bouygerhl: Ehe wir über Deine Musik sprechen: Du bist erst kürzlich nach Leipzig gezogen. Was reizt Dich an dieser, meiner Heimatstadt?

BOAH ROBIN!: Ganz richtig – ich war vor einem Jahr der Liebe wegen hergekommen. Leipzig ist für mich in erster Linie ein spannender und reizender Twist. Du kommst quasi immer von einem, sagen wir, düsteren, abgewichsten Ort zu einem Platz, an dem wiederum alles golden, edel, chic und verschnörkelt ist. Es gibt unglaublich viel kulturelles Angebot. Das liebe ich an Leipzig.

BG: Einer meiner Lieblingstracks auf Deiner neuen EP ist 'Ares'. Sehr industriell, klingt nach Front 242 oder Nitzer Ebb. Ich weiß aber auch, dass Du Madonna, Mylène und Co. feierst. Wo liegen musikalisch Deine Wurzeln?

BR: 'Ares' habe ich über meine Wut gemacht, die nicht allzu oft zum Vorschein kommt, da ich selten richtig negativ explodiere, aber ich wollte einfach einen Song schaffen, der genau diese Energie repräsentiert. Und wie ich von einigen Leuten gehört habe, nutzen sie ihn beim Sport und Fitness – was ich wiederum mega cool finde! In meiner Kindheit fing alles mit Blümchen, Britney Spears, Christina Aguilera, Sarah Connor auf Englisch, Destiny's Child, Tic Tac Toe usw. an und entwickelte sich 2003 in die zur damaligen Zeit extrem populäre Gothic- bzw. Female-Fronted Metal-Schiene. Meine Lieblingsband zu dem Zeitpunkt war 'After Forever' aus den Niederlanden. Die Sängerin Floor Jansen bot 2005/2006 privaten Gesangsunterricht bei sich in Reuver/NL an und mein Vater ermöglichte es mir, ein halbes Jahr lang bei ihr in die Lehre zu gehen. Sie war, ist und bleibt für mich die ultimative perfekte Sängerin, da sie mit ihrer Vielseitigkeit und ihren 4 bis 5 Oktaven wirklich eine absolute Maschine ist. 2015 wurde sie dann offiziell die Sängerin von Nightwish, nachdem sie jahrelang mit einem schweren Burnout zu kämpfen gehabt hatte. Ich habe an dem Tag, als ich es erfuhr, zum ersten Mal im Leben aus reinem und purem Stolz für jemanden geweint. Sie nimmt übrigens 2022 an der neuen Staffel 'Sing meinen Song' auf VOX teil. Gerade in Songs wie 'Belong' hört man eben genau diesen Einfluss. Für mich steckt da ganz viel Lacuna Coil und Evanescence drin, obwohl es sehr elektronisch ist. Ich glaube tatsächlich, dieses Genre wird mich musikalisch immer begleiten – nichts hat mich so geprägt wie dieses Genre, und insbesondere der Gesangsunterricht bei Floor Jansen.

Ich möchte musikalisch niemals auf der Stelle treten.

BG: Deine ersten Demos klingen etwas rauer und düsterer als die neuen Songs. Gerade mit der Single 'Blutrot' schlägst Du ganz 'unapologetic' Pop-Töne an, ohne aber die kühlen Beats zu vergessen. Eine Kombi, die ganz viele Knöpfe bei mir drückt. Wo geht der musikalische Weg zukünftig hin?

BR: Ich habe ehrlich gesagt nie darüber nachgedacht, nur ein einziges musikalisches Feld bedienen zu wollen. Für mich entscheidet das Thema des Songs, bzw. der Text darüber, wo es klangtechnisch hingeht. Ich möchte EPs/Alben machen, auf denen der Radio-Pop-Song genauso seinen Platz findet, wie ein Stück wie 'Ares', gefolgt von einem Metal-esquen Brett, orientalischen Experimenten, usw. Ich möchte einfach irgendwann an den Punkt gelangen, wo Stimme und Text das absolute Markenzeichen von BOAH ROBIN! sind, und dementsprechend nicht das Ankommen in einem bestimmten musikalischen Segment. Ich möchte da niemals auf der Stelle treten. Meine nächsten Projekte sind englischsprachige Singles, die in der zweiten (rein englischen) EP resultieren sollen. 'Blutrot' wird gerade von Elias Emilian Kunz (Produzent Marcella Rockefeller) in das düsterere und clubbigere 'Dark Red' umgebaut. Für mich ist diese Entwicklung gerade spannender als jeder Krimi. Im Januar geht's zurück ins Studio nach Hannover. Ich bin mega gespannt, was das Frühjahr 2022 geben wird!

BG: Früher hast Du auf Englisch getextet und gesungen – nun auf Deutsch. Warum diese Entscheidung?

BR: Ich war letzten Sommer bei Instagram von Peter Plate (Rosenstolz) 'zwangsentdeckt' worden. Wir hatten bezüglich einer Instastory gechattet, und bei der Gelegenheit hatte ich gefragt, ob ich ihm mal was von mir schicken dürfe und er hatte eingewilligt. Es war tatsächlich 'Irreversible', die englischsprachige Originalversion zu 'Irreversibel', die ihn überzeugte. Ich sollte daraufhin weiteres Demomaterial einsenden, bis er einen Produzenten für mich finden würde. Dieser wurde ja dann erstmal Elias Emilian Kunz, a.k.a. KUNZT. Unter den Demos war auch eine halb-deutsch, halb-englische Version zu dem, was das heutige 'Irreversibel'/DE ist. Peter ermutigte mich dazu, die Geschichte komplett auf Deutsch zu erzählen, weil er eben raushörte, dass ich etwas zu sagen habe in dem Lied. Von dort an habe ich erstmal nur noch auf Deutsch getextet. Das war eine interessante und tolle Erfahrung für mich. Da meine Inhalte aber doch manchmal extrem explizit sind, werde ich nun zurück zum Englischen gehen, um mich weniger 'entblößt' zu fühlen, ohne aber dabei das persönliche Level in den Texten auf der Strecke zu lassen. Wann immer ich zum Beispiel 'Irreversibel' singen übe – und das war auch ein Moment bei den Studioaufnahmen in Hannover – gibt es einfach Stellen, an denen ich anfangen muss zu weinen, weil es auf Deutsch einfach zu krass für mich ist, insbesondere die Schlusszeile 'Ohne Dich wär' ich allein'.

BG: Auf Deinem Insta-Profil fallen zwei Dinge sofort ins Auge: Die Wörter 'Tacheles' auf dem Hals sowie 'Sex' über dem Herzen. Magst Du dazu etwas sagen?

BR: 'Tacheles' ist der Titel eines MIA.-Albums. Der Opener 'Sturm' handelt von der absoluten Entschlossenheit, etwas durchzuziehen. "Nur wenn ich jetzt anfang' zu überlegen, ob ich je aufhör', wird es so sein" – genau dieses Mindset habe ich bei allem in meinem Leben, das ich liebe und für das ich kämpfe. Genau wie eben für meine Musik, oder die Liebe. Naja, und das Tattoo 'Sex' erklärt sich vermutlich von allein.

BG: Mit Deinen Lyrics gewährst Du einen sehr intimen Einblick in Dein Innerstes. Du sprichst offen über queeres Begehren, von Enttäuschung und vom 'Wachsen nach dem Weinen'. Ist Musik Dein Weg diese verletzliche Seite zu kanalisieren?

BR: Meine Texte sind die einzig wahre und ehrliche Antwort auf die Frage: 'Wie geht es dir?'. Ich bin ein sehr fröhlicher, naturdruffer, alberner, positiver Optimist und Idealist. Genau dieses Bild möchte ich vor Leuten immer so gut es geht wahren. Mein Weltschmerz und meine Melancholie sind dabei aber genauso wenig zu übersehen. Für Letzteres ist eben die Musik/Texterei meine Leinwand, die ich damit bemale. Ob ich mich jemals irgendwo hinsetzen würde und einfach direkt gerade heraussagen würde 'Ja, dieser Scheiß mit XY hat mir echt wehgetan!', wage ich zu beweifeln, so wie ich mich kenne.

BG: Was sind Deine nächsten Pläne? Worauf können wir uns freuen? Ich z.b. freue mich auf unser erstes gemeinsames Live-Konzert in Leipzig – awoooo!

BR: 2022 werde ich meine zweite, rein englischsprachige EP rausbringen, ganz ganz viel Promotion machen in der LGBTQ+ Community, vermehrt über Mental Health Issues und anderes in der Öffentlichkeit sprechen und allem voran: Live singen! Live singen und eine Routine auf der Bühne finden! Ich möchte schauen, was Leipzig lokal zu bieten hat, ich werde Jennifer Weist endlich wieder live sehen können, ich werde mit einem weiteren neuen Produzenten ins Studio gehen, und so weiter und so fort. Allem voran freue ich mich, noch hoffentlich mega coole Projekte mit Dir, Zacker, starten zu können. Ich bin bereit und hab' Bock!

Zum Schluss unsere fünf BOUYGERHL-Quickies:

Die Musik welcher Künstler*in beeindruckt dich ganz aktuell?
Esther Graf, Darren Hayes, Aquario, Delta Goodrem, Yaenniver/Jennifer Weist, Annett Louisan ... und wie immer natürlich: Mylène Farmer.

Celebrity Crush?
Kostja Ullmann

Guilty Pleasure?
Rauchen, Eis mit Brownie-Stücken drin, Männer

Was war die letzte Serie, die du gebingt hast?
Aktuell mal wieder 'Desperate Housewives'.

Dein perfekter Sonntag?
Nackt mit einem sexy, witzigen Mann im Bett liegen, viel Essen, gute Filme/Serien dabei, abends noch Songtexte vervollständigen und ein bisschen singen.

  • Interview Zacker
  • Fotos BOAH ROBIN!