Über geheime, verflossene und ganz große Liebe: Nico Went im Interview

© Jörn Hartmann
  • Ein Beitrag von Gastautor Aquario

In einer Welt, die sich zunehmend für die Vielfalt von Geschlechteridentitäten öffnet, wird auch die Bühnenkunst immer inklusiver. So feiert am 19. März 2023 ein jahrhundertealter Stoff erneut Premiere – und das im queeren Gewand: Unter dem tiefgehenden Motto 'Liebe ist alles' wird Shakespeares 'Romeo & Julia' als Musical aus der Feder von Erfolgsduo Peter Plate und Ulf Leo Sommer in Zusammenarbeit mit Produzent Joshua Lange im Berliner Theater des Westens uraufgeführt.

Und weil Liebe alles ist, eben mehr als der alte Staub zwischen Frau und Mann, ist eine der neu und queer interpretierten Rollen die des Mercutio, der sich in seinen besten Freund Romeo verliebt. Irgendwo zwischen ganz viel Liebe und Drama haben wir Mercutio-Darsteller und Musical-Star Nico Went zum BOUYGERHL-Interview getroffen.

Bouygerhl: Hey Nico! Danke, dass du dir heute Zeit für unser Interview genommen hast. Wie geht’s dir?

Nico Went: Sehr gut. Zurzeit ist es natürlich alles sehr viel. Ich mache gerade 'Ku'Damm' und gleichzeitig 'Romeo & Julia'. Bin aber voll motiviert!

BG: Apropos: 'Liebe ist alles' lautet ja der Leitsatz vom neuen 'Romeo & Julia'-Musical. Mich würde interessieren, was die große Liebe für dich bedeutet. Fühlt sie sich für dich eher leichtfüßig oder tragisch an?

NW: Tragisch definitiv nicht. Liebe sollte immer etwas Leichtes haben; etwas, das einfach so passiert, über das man nicht viel nachdenken muss. Das ist die gesunde Art der Liebe. Über das Thema Liebe zu sprechen, ist ja immer ein bisschen kitschig. Aber ich glaube auf jeden Fall, ich habe die große Liebe schon gefunden. Ich bin ja seit 13 Jahren mit meinem Freund zusammen.

Liebe sollte immer etwas Leichtes haben; etwas, das einfach so passiert, über das man nicht viel nachdenken muss.

BG: Spannend! Das wäre eigentlich meine letzte Frage gewesen; ob du die große Liebe schon gefunden hast. 13 Jahre sind schon eine Hausnummer. Dazu gratuliere ich euch beiden schon mal. Lass uns doch einen Blick ins Musical werfen. In eurer Adaption geht ihr mit Shakespeares Stoff aus dem 16. Jahrhundert recht frei um. Was bleibt aus deiner Sicht vom Original erhalten und was kommt an Neuem hinzu?

NW: Die Texte sind schon mal original Shakespeare. Aus der Übersetzung von Schlegel [Anm. d. Red.: August Wilhelm Schlegel *1767 †1845, dt. Literaturhistoriker, -kritiker und Übersetzer]. An der Story selbst wird nicht so viel geändert. Peter und Ulf haben bei der Anlage der Charaktere hier und da etwas geändert. Was mich natürlich total gefreut hat, ist, dass der Mercutio ein schwuler Charakter geworden ist, den ich am Ende auch verkörpern darf. In der Story, die sich Peter und Ulf für Mercutio überlegt haben, steht er auf Romeo; eine Liebe, die natürlich so nicht funktionieren wird, weil jeder weiß, dass Romeo Hals über Kopf in Julia verschossen ist. Deshalb ist das eine heimliche Liebe, die er nur für sich selbst besingt. Damit konnte ich mich gut identifizieren, weil ich damals in der Schule auch in meinen besten Kumpel verknallt war. Alles war so auf einem 'Bro-Level'. Er hat nur Interesse an Frauen gehabt.

BG: Und mit der Rolle des Mercutio kannst du dich jetzt quasi ein Stück weit selbst therapieren und das Trauma von damals auflösen?

NW: Für mich war es damals schon eine schöne Zeit und gar nicht so ein großes Trauma, da ich für mich selbst noch gar nicht wusste, dass ich schwul bin. Aber im Nachhinein hab' ich mir schon gedacht: Natürlich hab' ich alles mit dir gemacht, weil ich einfach auf dich stand. Genauso ist es im Endeffekt bei den Rollen von Mercutio und Romeo: Es gibt ja den Widersacher Tybalt, der Romeo zu einem Duell auffordert. Mercutio fängt den Brief aber ab und am Ende duelliert er sich mit Tybalt. Das Duell ufert so weit aus, dass Mercutio sogar stirbt. Er ist quasi wortwörtlich für Romeo ins Messer gesprungen.

BG: Würdest du sagen, dass Mercutios Verliebtheit in Romeo im Musical sehr deutlich spürbar ist oder muss man da eher zwischen den Zeilen lesen?

NW: Es gibt definitiv einen eindeutigen Moment, in dem ich darüber singe. Ich habe einen Song, der heißt 'Kopf sei still', in dem ich sage: Okay, da ist was. Ich fühle mehr für ihn, darf so etwas aber nicht denken. Die Zuschauer können selbst interpretieren, warum ich das jetzt nicht denken darf. Darf ich schwul sein oder darf ich mich in meinen besten Kumpel verlieben? Ich selbst muss mir auch noch gemeinsam mit dem Regisseur überlegen, was ich den Zuschauern da zeigen möchte. Davor wird es immer nur leicht angedeutet. Es gibt kein großes Klischee, in dem Mercutio steckt. Er ist ein ganz normaler Typ, der vielleicht ab und zu das Gefühl hat: Oh, diese Berührung von Romeo ist sehr schön. Aber es wird gar nicht weiter kommentiert. Unser Sprechtext gibt das ja gar nicht her. Nur in dem Songtext von Peter und Ulf wird das sehr deutlich.

BG: Kürzlich habt ihr auch ein Musikvideo zu 'Kopf sei still' gedreht, richtig?

NW: Genau, das war jetzt das zweite Video nach 'Es lebe der Tod'. Der Dreh hat total viel Spaß gemacht. Ich habe das Video zusammen mit zwei Tänzern aus dem Romeo-&-Julia-Cast gedreht. Wir haben gemeinsam mit dem Choreografen eine tolle Choreografie entwickelt, die wir dann vor der Kamera aufgeführt haben. Immer wieder aus einem anderen Winkel. Das ist so eine schöne Story geworden: ein Tanz zwischen zwei Männern, in den ich immer wieder versuche rein zu gehen und doch nicht darf, weil ich mir denke: Kopf sei still, ich darf das nicht denken! Ich habe die Aufnahmen selbst noch nicht gesehen, weil ich mich überraschen lassen will, aber ich glaube, die Choreo sieht wunderschön aus.

BG: Auf das Video sind wir wirklich gespannt. Stichwort 'Kopf sei still'. Gehen wir doch nochmal zurück zu deiner queeren Identität. Du hast ja schon erzählt, dass du zu Schulzeiten in deinen besten Freund verliebt warst, dich da aber auch gebremst hast. War das 'Kopf-sei-still'-Ding für dich auch im echten Leben ein Thema, quasi das Annehmen deiner Identität als schwuler Mann?

NW: Ich bin in Rostock groß geworden. Das ist eine Stadt mit 200.000 Einwohnern. Es ist schon eine große Stadt, aber nicht unbedingt, was die Queer-Community angeht. In meinem Umfeld waren jetzt nicht so viele schwule Leute. Ich hatte also keinen großen Zugang dazu. Irgendwann habe ich dann aber meinen jetzigen Freund kennengelernt. Da ist es einfach passiert. Mit 18 habe ich mich geoutet. Ich war einer der Glücklichen, der nicht so sehr kämpfen musste oder große Probleme damit hatte. Klar, in der Familie gab es die typischen Fragen: Was ist mit 'ner Freundin? Willst du nicht irgendwann Kinder haben? Was wird aus unserem Namen? [lacht] Mein Freund und ich waren sogar auf derselben Schule. Er war zwei Jahre unter mir. Ich war gerade fertig mit der Schule und beim Zivildienst. Damals kam er aus seinem Auslandsjahr aus Mexiko zurück und hat quasi sein Abi angefangen. Dann haben wir uns auf einer Party kennengelernt. Wir waren super extrovertiert angezogen, alles hat im Schwarzlicht geleuchtet. Auf der Party haben wir uns dann verloren, sodass ich ihm bei SchülerVZ geschrieben habe. Ich hab' dann so getan, als sei ich betrunken und extra so falsche Wörter in die Nachricht eingebaut.

'Romeo & Julia' behandelt die drei existenziellen Themen, die uns schon seit 30 Jahren in unseren Songs begleiten und faszinieren: Liebe, Sex, Tod!

Peter Plate

BG: Manchmal traut man sich eben nicht, obwohl man schon eindeutige Signale bekommt. Wenn man durch andere Konditionierung zu Schulzeiten schon ein entsprechendes Selbstbewusstsein gehabt hätte, wären manche Dinge später vielleicht anders gelaufen. Deshalb ist das Mercutio-Thema auch so spannend, oder?

NW: Defintiv! Vor allem kämpfen die Männer in dem Stück ja auch die ganze Zeit. Da geht’s ganz viel um Ehre und so. Es ist ein Umfeld, in dem offensichtlich auch ganz viel Gewalt passiert. Ich glaube, in so einem Umfeld als Mann solche Gefühle zu haben, ist schwierig. Traurigerweise darf man da als Mann ja nicht solche Gefühle zulassen.

BG: Euer Musical trägt mit seinem Leitsatz zum Glück dazu bei, solche Denkmuster aufzubrechen.

NW: Total!

BG: Kannst du für uns nochmal zusammenfassen, wie viel von Mercutio in Nico steckt?

NW: Mercutio ist ein offener Typ. Er stänkert gern, er macht gern Witze. Das bin durchaus ich. Er steht auf Romeo; seinen besten Kumpel — auch ich. Wo wir nicht so überein stimmen: Er reagiert sehr viel mit Gewalt auf verschiedene Situationen. Wo's um körperliche oder verbale Gewalt geht, ist meine Grenze. Da bin ich raus. Da würd' ich mich eher umdrehen und gehen, aber für die Bühne mach' ich es mal.

BG: Für etwaiges Aggressionspotenzial ist die Bühne als Sänger und Performer ja auch schon dein Ventil, oder?

NW: Genau!

BG: 2018 hast du deinen Abschluss als Musical-Darsteller an der Berliner Universität der Künste gemacht. Was hat dich dazu bewegt, eine Musical-Karriere zu starten?

NW: Mein Weg als Musical-Darsteller ist tatsächlich interessant. Nach der Schule hab' ich erstmal angefangen, Chemie zu studieren, aber schnell gedacht: Oh Gott, das kann ich nicht mein Leben lang machen. Ich brauche es, mich selbst zu verwirklichen und habe nach der Bachelor-Arbeit angefangen, Musical zu studieren. Während des letzten Jahres meines Chemie-Studiums habe ich mich an der UdK beworben und es hat geklappt: Bachelor-Arbeit am 30.09. abgegeben und an der UdK direkt zum 01.10. angefangen. Die Interessen hatte ich vorher schon. Als Jugendlicher habe ich Latein und Standard getanzt und war auch in der Schulband. Am Volkstheater Rostock war ich im Theater-Jugendclub. In Berlin habe ich mir dann eine Amateur-Musical-Gruppe gesucht. Da habe ich gemerkt, dass ich das gut kann und jeden Tag machen will.

BG: Was glaubst du, warum Musicals auf Queers so eine Faszination ausüben?

NW: [überlegt kurz] Ich habe selbst sehr viele homosexuelle Kolleg:innen. Ich glaube, das ist dieses ganze Ding, einfach seine Gefühle zeigen zu dürfen. Es wird einem diese Welt vorgespielt, in der man gerne leben will. Alles ist exzentrisch, glitzert, viel Kitsch — auf eine schöne Art. Eine schöne Fantasiewelt, in die man sich flüchten kann und in der queere Charaktere oft auf der Bühne stehen, sodass man sich selbst gut mit ihnen identifizieren kann.

BG: Die wörtliche Übersetzung von queer lautet ja 'schräg' bzw. 'schrill' und das findet sich oft auch in den Outfits wieder. Eure ersten Outfits wurden auf Instagram schon geteasert. Wie wird denn dein Outfit als Mercutio aussehen?

NW: Die Jungs in Verona, also Romeo, Mercutio, Benvolio, Tybalt; die sehen alle relativ ähnlich aus, haben aber verschiedene Farben. Das Kreativ-Team hat sich lange Gedanken darüber gemacht, ob die gewählte Farbe für Mercutio die richtige ist. Ich werde tatsächlich ein rosa Kostüm tragen. Aber ich glaube, das ist gut. Wir bedienen das Klischee damit gar nicht so sehr. Ich mag es, dass man jemanden in einem rosa Kostüm sieht, der aber gar nicht den 'Klischee-Schwulen' abbildet, wie es in manchen Serien z. B. der Fall ist.

BG: Zumal es durch die queeren Schöpfer und Akteur:innen des Musicals auch klar ist, dass ihr euch nicht selbst stigmatisieren wollt. Hast du denn im ganzen Musical-Kosmos, der von der Verbindung von Musik, Tanz, Choreo und Live-Ambiente lebt, auch Vorbilder aus der Popkultur?

NW: Also ich muss sagen, die letzte geile Live-Show, die ich gesehen habe — und das ist sehr Klischee — war in Stockholm beim Lady Gaga-Konzert. Was Fashion angeht, war das eine tolle Show. Sie verbindet ja ganz viel, auch Schauspiel und Kunst. Diese Projektionen, die sie da hatte — das war Wahnsinn! Da schneide ich mir definitiv eine Scheibe von ab. Das war ein Konzert, das ich so schnell nicht vergessen werde.

Musicals sind eine schöne Fantasiewelt, in die man sich flüchten kann.

BG: Kommen wir nochmal zurück zum Musical: Was ist bei der Vorbereitung auf die Premiere aktuell deine größte Herausforderung und worauf freust du dich am meisten?

NW: Da gibt’s zwei Dinge, die ein bisschen anstrengend sind: Zum einen sind es natürlich die klassischen Texte, die man sich reinballern und merken muss. Im Musical wird ja normalerweise viel moderner Text gesprochen, also solcher, den man auch in Echt sprechen würde. Im Fall von Shakespeare sind es ja klassische Texte. Um die den Zuschauern schön und verständlich rüber zu bringen, muss man sie gut verstehen und sich richtig rein prügeln. Das dauert auch ein bisschen länger als bei normalen Texten. Derzeit muss ich durch die Doppelbelastung mit 'Romeo & Julia' und 'Ku’Damm 56' auch mit meiner Freizeit jonglieren. Nebenbei muss ich als Zweitbesetzung von Romeo auch da noch ein Auge auf die Texte haben.

BG: Als Zweitbesetzung musst du also alles lernen, was die Erstbesetzung zu tun hat?

NW: Genau, richtig. Ich kriege dafür schon noch meine extra Proben. Das wird nach der Premiere stattfinden. Da darf man nicht krank werden.

BG: Heftig — und das zur Winterzeit! Wie hältst du dich da fit? Hast du Rituale?

NW: Schlafen! Jede freie Minute! Und mich nicht bewegen. Dadurch, dass wir einen sehr körperlichen Job haben, in dem wir uns viel bewegen, ist es für mich sehr wichtig, mich auch mal nicht zu bewegen. Einfach auf der Couch liegen und chillen. Und ich schaue mir immer irgendwelche Weltraum-Videos an, bei denen ich nach fünf Minuten einschlafe. Schöne tiefe Stimme, dazu die Bilder; und ich bin sofort weg.

BG: Dürfen wir uns abseits des Musicals irgendwann auf eigene Musik von Nico Went freuen?

NW: Ich glaube nicht. Zumindest habe ich bis jetzt nicht die Zeit gefunden, eigene Musik zu schreiben. Ich sehe mich doch eher als Darsteller. Auf der Bühne zu stehen und Rollen zu spielen bzw. zu singen, liebe ich. Eigene Songs zu schreiben, da hatte ich noch keinen richtigen Kopf für. Aber wenn mir jemand einen Song schreiben will, den ich performen soll, dann bitte!

BG: Grüße gehen raus an alle Produzent:innen! Und vielen Dank für deine Zeit, lieber Nico. Lass uns zum Abschluss noch einen Blick auf unsere BOUYGERHL-Quickies werfen:

Montague oder Capulet?
Montague! Ich liebe ja Romeo, ganz klar!

Singen oder Tanzen?
Das ist schwer … Singen.

Aktueller Lieblingsmusik-Act?
Oh, da muss ich passen. Eigentlich höre ich immer, was gerade kommt.

Berliner Partyszene-Tipp?
Bar 'Zum schmutzigen Hobby'. Da gibt’s immer schöne Trash-Partys, und ich kenne da viele Leute.

Film- bzw. Serien-Tipp?
Der letzte Film, den ich richtig cool fand, war 'Triangle of Sadness'.


Romeo & Julia – Liebe ist alles

Das Album – ab sofort erhältlich
Das Musical – ab 19.03.2023 im Theater des Westens (Berlin)

Infos & Tickets
www.musicalsberlin.com
www.stage-entertainment.de

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