Paura Diamante: Video-Premiere & Interview

© Robert. M

Die queere New-Wave-Chanteuse Paura Diamante – oder wie sie im letzten Bouygerhl-Interview selbst von sich sagte: die "Juliane Werding des Darkwave" – veröffentlicht mit 'Vampires' die zweite Single aus ihrem kommenden Debütalbum 'Tango'.

Musikalisch und textlich bewegt sich Paura Diamante bewusst abseits gängiger Vorgaben von Musik als Kunstform oder bestimmten musikalischen Präferenzen subkultureller Strömungen. Ihr Ausdruck möchte weder zwanghaft innovativ noch frei von Klischees sein. Vielmehr geht es Paura primär um gutes Songwriting, Melodie, Catchyness, und einen uneingeschränkten Umgang mit Worten.

Den sphärisch-düstereren Song findet ihr ab sofort auf Bandcamp. Das dazugehörige Musikvideo feiert heute exklusiv hier auf bouygerhl.com Premiere.

Bouys & Gerhls – viel Spaß!

Interview mit Paura Diamante

Anlässlich der Video-Premiere hat uns Paura Diamante ein paar Interviewfragen beantwortet:

Bouygerhl: Deine neue Single 'Vampires' greift thematisch unerschrocken in die Goth-Klischee-Kiste – und ich liebe es! Was fasziniert Dich persönlich an Vampiren?

Paura Diamante: Es mag Dich jetzt vielleicht enttäuschen, aber der Song handelt nicht wirklich von Vampiren im eigentlichen Sinne. Sie fungieren hier eher als Metapher. Ich bin nicht sonderlich fasziniert von Vampiren – zumindest nicht in dem Sinne, dass ich davon träume, dass mich irgendein düsterer Typ mit Zylinder und langen Haaren abschleppt, um mit mir in einem Schloss die Ewigkeit in Pannesamt zu verbringen. Der Vampir interessiert mich eher als Symbol für eine brüchige, marode und von Moral befreite Dekadenz. Mein kommendes Debütalbum 'Tango' beleuchtet verschiedene Formen europäischer Dekadenz in den 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts vor dem Hintergrund aktueller politischer Ereignisse wie der diversen Fluchtbewegungen von Menschen, die Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, der Corona- und der Klima-Krise und dem aktuellen Krieg in der Ukraine. Und 'Vampires' ist eine Facette dieses thematischen Schwerpunkts.

BG: Und wenn Vampir – dann Edward Cullen oder eher Louis de Pointe du Lac?

PD: Ich bin ganz ehrlich: Ich musste beide erstmal googeln. Edward Cullen ist offenbar dieser seifige Boy aus der 'Twilight Saga'. Geht es in der Story nicht eigentlich darum, dass man kein Sex vor der Ehe haben soll oder sowas? Gruselig. Diese Filme sind wirklich der Bodensatz der Unterhaltungsindustrie. Anne Rice habe ich teilweise gelesen, konnte mich jetzt aber nicht mehr an den Namen Louis de Pointe du Lac erinnern. 'Interview mit einem Vampir' hab ich damals im Kino gesehen, war aber nicht sonderlich angetan. In Bezug auf den Film muss ich sagen, dass ich leider weder Brad Pitt, noch Tom Cruise oder Antonio Banderas irgendwie geil finde, insofern ließ mich das ganze aus erotischer Sicht ziemlich kalt. Was ich allerdings spannend finde an Anne Rice, ist die Ambivalenz der Vampirfiguren zwischen neurotischer Depression und ihrer Fremdwahrnehmung als erhabene Wesen, deren Leben irgendwie erstrebenswert ist. Ein bisschen von dieser Idee ist tatsächlich sogar in meinen Song 'Vampires' eingeflossen.

Eine Zerschlagung von Patriarchat und toxischer Männlichkeit ist absolut notwendig. Es ist aber sinnvoll, dabei stets wachsam zu bleiben.

BG: Ist die Textzeile 'Waste the sperm' als Analogie zu 'Verschwende deine Jugend' zu verstehen? Klär mich auf!

PD: Gar nicht mal so schlecht! Es geht um die Entkopplung von Sex und Reproduktion, um queeres Begehren, um eine Absage an eine heteronormative und kapitalistische Verwertungslogik, um die absolute Befreiung und Verschwendung. Um die Hingabe an den Moment, aber auch um den Moment, in dem Exzess beginnt, ranzig zu werden. Das manifestiert sich im zweiten Teil der Zeile: "… of evil spirits that transform".

BG: Die Stilistik Deiner Fotoshootings und auch speziell das neue Musikvideo erinnern mich an die Bohème der Goldenen 20er Jahre. Eine Epoche, die Dich reizt?

PD: Definitiv. Die Analogien zur Gegenwart wurden ja bereits oft beschrieben – gerade in Berlin gibt es schon länger diesen 20er-Jahre-Hype und viele Leute kommen hierher, um ein Stück davon zu finden. Sie suchen entweder den 20er-Jahre-Vibe oder irgendwas von Christiane F. und David Bowie. Keine Ahnung, ob sie es finden. Diese Sehnsucht ist schon ziemlich verklärend, um ehrlich zu sein. Viele meiner Lieblingsbücher wurden in den 20er-Jahren geschrieben, wie Irmgard Keuns 'Das kunstseidenen Mädchen' oder Kästners 'Fabian', insofern würde ich lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich frei von jeglicher Verklärung wäre. Aber das, was mich an dieser Zeit interessiert, ist nicht einfach nur der 'Tanz auf dem Vulkan', der so oft ins Zentrum gerückt wird, sondern vielmehr die Veränderung der traditionellen Geschlechterrollen – der Aufstieg der sogenannten 'Neuen Frau' mit Bubikopf und Zigarettenspitze, die zum berufstätigen Rädchen im System wurde, und die Aushöhlung alter, dominanter Männlichkeitskonzepte. Die durch Massenarbeitslosigkeit bedingte Bedrohung der Rolle des Mannes als 'dem Ernährer' und die damit einhergehende narzisstische Kränkung bereiteten dann ja den Weg zum Nationalsozialismus. Das ist extrem gruselig und ich finde, wir können auch heute noch sehr viel daraus lernen. Die grausige Realität ist nämlich: Bedrohe Patriarchat und toxische Männlichkeit, und du riskierst, Faschismus zu ernten. Das heißt allerdings nicht, dass man es nicht trotzdem mit aller Kraft versuchen sollte – eine Zerschlagung von Patriarchat und toxischer Männlichkeit ist absolut notwendig. Es ist aber sinnvoll, dabei stets wachsam zu bleiben.

BG: Dein Debütalbum steht quasi in den Startlöchern. Wie weit bist Du hier gerade im Prozess - und was ist für Dich dabei das Aufregendste?

PD: Unser Debütalbum 'Tango' ist komplett fertig und wird hoffentlich bald auf Young & Cold Records erscheinen. Spannend war vor allem die Arbeitsweise. Zum einen habe ich 70 Prozent der Songs Anfang des Jahres in einem Rutsch runtergeschrieben, wodurch das Konzept der Platte meiner Ansicht nach relativ dicht und geschlossen rüberkommt, zum anderen fand ich die Art der Zusammenarbeit mit meinem Produzenten Romain Frequency alias Electrosexual extrem beflügelnd. Ich schreibe meine Songs mit akustischer Gitarre und mit Vokalharmonien – die Demos klingen also alle eher nach Neo Folk oder einem morbiden Vokalensemble. Romain hat sie dann aufgegriffen und elektronisch interpretiert. So ist die Platte wirklich eine Zusammenarbeit von uns beiden geworden, die sehr intensiv ineinandergreift.

BG: 'Young & Cold' ist eines der bekannteren Labels in der Szene, speziell für neue, hippe Düster-Act. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

PD: In der Tat ist 'Young & Cold' eines meiner Lieblingslabels. Ich freue mich also extrem, dass Daniel und Marcel Bock auf meine Musik haben. Das Label war total supportive von Anfang an. Sie sind wohl irgendwo im Netz über meine erste Single 'Berlin' gestolpert und haben mich angeschrieben. Das war super sweet und hat mir natürlich extrem geschmeichelt. Dann kam eins zum anderen und jetzt machen sie die Platte. Eigentlich unfassbar. Ich bin 'Young & Cold Records' sehr dankbar. Es wird bald die Möglichkeit geben, das Album auf Vinyl vorzubestellen. Ich würde mich also sehr freuen, wenn die eine oder andere Person die physische Schallplatte kaufen würde.

BG: Nächste Woche – am 04. Juni 2022 – legst Du auf meiner queeren Goth/Wave-Party 'Glitter+Trauma' auf, die ich jedes Jahr parallel zum Wave-Gotik-Treffen veranstalte. Was erwartet uns denn bei Deinem DJ-Set musikalisch?

PD: Auf meiner Berliner Party 'Eisengrau', die ich zusammen mit meiner Schwester Sharleen Voyage veranstalte, liegt mein Schwerpunkt auf Synth und Minimal Wave, Dark Italo und Proto-NDW. Mein Wunsch ist, dass Leute Wave-Music mit einer ähnlichen Haltung konsumieren, wie die Menschen das in anderen Clubs mit House und Techno machen. Da tanzen alle ganz selbstverständlich zu Tracks, die sie noch nie gehört haben. Sie lassen sich fallen und begeben sich in die Hände der DJ-Person, die sie durch die Nacht geleitet. Ein bißchen von dieser Idee werde ich zur 'Glitter+Trauma' mitbringen, werde aber darauf achten, dass ich auch bekannte Sachen im Gepäck habe. Zum WGT kommen so viele unterschiedliche Menschen zusammen und ich denke, alle sollten Musik bekommen, über die sie sich freuen. Ich bin kein DJ, der sich im Ego-Rausch einen auf seine Plattensammlung runterholt, und sich dabei einen Scheiß darum schert, wie die Stimmung im Raum ist.

BG: Das  Wave-Gotik-Treffen findet dieses Jahr bereits zum 29. Mal statt. Was bedeutet Dir dieses Festival?

PD: Schwierige Frage. Ich glaube, es gehört fast schon zum guten Ton, über das WGT zu maulen. Insofern versuche ich mal, nicht so zu klingen wie alle anderen. WGT und Gothic Pogo sind schon großartige Institutionen. Und dabei spielt es keine Rolle, was sie mir persönlich bedeuten.


© Collage: Stefan Gunnesch / bildschriflich.de

Veranstaltungstipp: Glitter+Trauma - Queer Wave Party

Pfingsten in Leipzig ist traditionell 'schwarz'. Jedes Jahr findet an diesem Wochenende – parallel zum Wave-Gotik-Treffen – die GLITTER+TRAUMA statt, auf der die queere Subkultur ihre musikalischen Held*innen feiert. Egal ob schwul, lesbisch, bi, trans oder non-binary: Hier tanzen alle gemeinsam durch die Nacht – zu kühlem Wave, düsterem Post-Punk, treibendem EBM, nebligem Goth, hartem Techno, bleepy Synthpop und neonfarbenen 80s-Hits. No tears for the creatures of the night!

Floor I
Goth Classics / Dark Wave / Ebm / Post Punk / Sub 80s / Synth / Indie

  • Mrs. Pinkeyes / Eklextasy, Wien
  • Paura Diamante / Eisengrau, Berlin
  • Timo / Pop & Trash, Berlin
  • Zacker / NO NO NO!, Bouygerhl, Leipzig

Floor II
Dark Beats / Techno / Hard Electronics

  • Philipp Strobel / Aufnahme + Wiedergabe, Berlin
  • Electrosexual / Berlin
  • Aehm / exLEpäng!, White Circles, Leipzig
  • Lissa / Berlin

Samstag, 04. Juni 2022
Elipamanoke Leipzig
Infos auf www.glitter-trauma.de
Termin auf Facebook

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