Video-Premiere & Interview: Scott Matthew
Sobald Scott Matthew anfängt zu singen, wird es wohlig warm im Brustkorb. Mit seiner wundervoll markanten Stimme dringt er ganz tief ins Herz - manchmal sogar noch ein Stück weiter.
Spätestens seit seiner Rolle im Kultfilm 'Shortbus' sollte der charismatische Sänger aus New York City jedem queeren Musikliebhaber-Bouy/Gerhl vertraut sein. Die Ukulele, die Melancholie und natürlich der Bart – daran kam man 2006 einfach nicht vorbei.
Fange ich an zu schwärmen? Absolut! Denn Scott Matthew ist einer der wenigen Acts, die mich auch nach so vielen Jahren immer noch begeistern und überraschen – wie unlängst mit dem Album 'Adorned'. 2020 erschienen, hat er darauf seine Songs einmal komplett dekonstruiert und in ein neues Gewand gekleidet. Erstaunlich lässig!
Pünktlich zum ersten Geburtstag des Albums feiert heute das Video zu 'White Horse' bei uns Premiere. In der neuen 'Spring Version' klingt der Song "sinnlicher, friedlicher und hoffnungsvoller". Und ja, da ist immer noch ein weißes Pferd in seinem Herzen gefangen, aber "es ist jetzt eher ein andalusisches Dressurpferd, das viel mehr Platz zum Galoppieren hat".
Bouys & Gerhls – viel Spaß!
Mehr Freude und weniger Schmerz
Anlässlich der Video-Premiere auf bouygerhl.com, hat Scott uns einige Interviewfragen beantwortet:
Bouygerhl: Auf Deinem aktuellen Album 'Adorned' (2020) hast Du Deine Songs einmal komplett umgekrempelt und neu arrangiert – teilweise auch mit Sounds, die man von Dir nie erwartet hätte. Wie kam es zu dieser Idee, zu diesem Schritt?
Scott Matthew: 'Adorned' war die Idee meines Managers Christian Jerger. Er hat mir sein Konzept zusammen mit dem Produzenten Jens Gad vorgestellt. Es war ein Experiment. Es ging dabei nicht um einen Richtungswechsel für mich, vielmehr darum, den Songs aus einer vergangenen Zeit neu zu begegnen, unsere Perspektive darauf zu verändern und dadurch Möglichkeiten zu finden, sie neu zu 'schmücken' (adorned).
BG: Wenn das musikalisch so weiter geht: Können wir uns dann irgendwann sogar auf ein ganzes Clubby-Dancy-Scotty-Album freuen? Mit den fantastischen Remixen von 'Soul to Save' (Trummerschlunk Remix / 2015) oder 'Prescription' (Eric D Clark Remix / 2008) hat das musikalisch ja bereits perfekt geklappt.
SM: Die Herausforderung und der ganze Arbeitsprozess hat wirklich Spaß gemacht. Aber ich glaube nicht, dass das jetzt zur Regel wird. Ich denke, das war ein einmaliges Album-Experiment.
BG: Die Originalversion von 'White Horse' ist mit der tiefst melancholischen Ansprache einer meiner absoluten Favoriten. Die neue 'Spring Version' kommt – wie Du sagst – "sinnlicher, friedlicher und viel hoffnungsvoller" daher. Ist der Schmerz verflogen?
SM: Das wirklich Gute am Älterwerden ist für mich genau das. Ein Teil der Schmerzen lässt nach und neue Perspektiven und Prioritäten entstehen. Dieses Album 'Adorned' symbolisiert das definitiv in vielerlei Hinsicht. Mehr Freude und weniger Schmerz. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, ganz ohne Kummer zu sein, aber es ist doch eine Erleichterung zu fühlen, dass man ihn bis zu einem gewissen Grad überwinden kann. Aber da liegt auch das Dilemma. Wie macht ein Songwriter wie ich ohne den Schmerz weiter? Wir werden sehen.
Ich glaube nicht, dass es möglich ist, ganz ohne Kummer zu sein, aber es ist doch eine Erleichterung zu fühlen, dass man ihn bis zu einem gewissen Grad überwinden kann.
BG: Ich habe eine große Leidenschaft für Cover-Versionen und widme dem Thema eine eigene Rubrik im BOUYGERHL-Blog. Du coverst live und auch auf Platte sehr häufig Songs; 2013 hast Du mit 'Unlearned' ein unglaublich intensives ganzes Cover-Album veröffentlicht. Woher kommt diese Faszination?
SM: Ich denke, es wäre unglaublich narzisstisch, andere Musik als die eigene nicht zu schätzen und zu verehren. Der starke Einfluss, den Musik auf mich als Kind schon hatte, führte dazu, dass ich bestimmte Songs so verehre, dass ich sie wiederum personalisieren wollte, um meine eigene Identität und Erfahrungen darin auszudrücken. Besonders live entsteht sofort eine Verbindung mit dem Publikum, wenn man sehr bekannte Songs covert. Verbundenheit ist immer gut – es macht zudem einfach Spaß.
BG: Wie sound-technisch bei Deiner neuen Single, hat auch Corona einmal alles ordentlich durcheinander gewirbelt. Deine Tour wurde verschoben. Im Herbst 2021 soll es aber nun endlich losgehen. Was erwartet alte und neue Scott Matthew Fan-Bouys/Gerhls?
SM: Wir wissen leider noch nicht, inwieweit es vielleicht Einschränkungen geben kann. Aber wir werden etwas Schönes erschaffen, worin man für eine Weile versinken kann. Wir planen auf jeden Fall eine 'Best-of'-Show mit Songs aus allen meinen Alben.
BG: In Vorbereitung auf dieses Interview bin ich nach langer Zeit wieder über Deinen Song 'In the End' aus dem Film 'Shortbus' gestolpert, einer der prägendsten Filme meines queeren Bewusstseins. Gibt es eine schöne Anekdote über diese Zeit, die noch nicht erzählt wurde?
SM: Nur wunderschöne Erinnerungen verbinde ich mit dieser Zeit. Ich werde für diese Erfahrungen immer sehr dankbar sein. Das war definitiv ein Life-Changer. Ich habe diese wunderbare Bestätigung gefühlt, mit meiner Musik ernst genommen zu werden und ich war verliebt. Während der Dreharbeiten schrieb ich den Lovesong 'Little Bird', weil mir glücklicherweise ein Darsteller beigebracht hat Ukulele zu spielen.
Zum Schluss unsere fünf BOUYGERHL-Quickies:
Die Musik welcher Künstler*in beeindruckt Dich ganz aktuell?
Von meinem lieben Freund und Musiker Sam Taylor erscheint ein neues Album. Sein musikalisches Projekt heißt Kawakawa.
Was war das Verrückteste, das Du auf einem Deiner Konzerte bisher erlebt hast?
Als meine Eltern vor vielen Jahren mal mit auf Tour waren und mein Vater jeden Abend auf die Bühne kam, um mit uns zusammen ein paar Songs zu spielen. Das war im besten und schönsten Sinne verrückt.
Rioja oder Chianti?
Eine Kiste von beidem bitte :-)
Wie sieht Dein perfekter Sonntag aus?
Wenn das Wetter schön ist, erkunde ich NYC und entdecke dabei die Geschichte dieser Stadt. Zum Beispiel übrig gebliebene Schätze aus der Vergangenheit wie das Fraunces Tavern Museum oder das Mount Vernon Museum. Wenn es draussen winterlich und sehr kalt ist, bin ich am liebsten bei meiner Nachbarin und ihren fünf Katzen und wir schauen uns den ganzen Tag zusammen Horrorfilme an.
Queensland, New York oder Berlin?
Alle drei Orte haben einen Platz in meinem Herzen. Aber Australien wird in vielerlei Hinsicht immer Zuhause sein. Obwohl ich schon seit 1997 in New York lebe, bin ich nach wie vor 'very Australian'. You can take the boy out of Australia, but can't take the Australian out of the boy.
Tourdaten Herbst 2021
Und ganz im Sinne der neuen 'hoffnungsvolleren' Version von 'White Horse' bleiben auch wir weiterhin voller Hoffnung und Vorfreude auf die geplante Tournee im Oktober 2021.
- 11. Oktober 2021 – Dresden / Societaetstheater
- 13. Oktober 2021 – Berlin / Lido
- 14. Oktober 2021 – Leipzig / UT Connewitz
- 15. Oktober 2021 – Köln / Stadtgarten
- 16. Oktober 2021 – Frankfurt / Nachtleben
- 17. Oktober 2021 – Ulm / Roxy
- 18. Oktober 2021 – München / Ampere
- 20. Oktober 2021 – Wien / Porgy & Bess
- 21. Oktober 2021 – Linz / Posthof
- 22. Oktober 2021 – Salzburg / ARGEkultur
- 23. Oktober 2021 – Dornbirn / Spielboden
- Interview Zacker
- Fotos Michael Mann